Dokumentierte Informationen – Weglassen vor Hinzufügen

Dokumentierte Informationen – Weglassen vor Hinzufügen

„Dokumente lenken“ heißt: Ordnung schaffen. Je weniger zu ordnen ist, desto leichter, schneller und besser geht’s.
So einfach ist das bzw. so einfach könnte es sein.
Leider passiert im QM allzu oft das genaue Gegenteil: Problemen werden hoffnungsvoll neue gut gemeinte Regeln gegenübergestellt. Es erscheint leichter zu sein, neue Regeln zu erarbeiten, als bestehende zu überarbeiten bzw. gar auszumisten. Und es gibt ja immer auch noch Themen, für die es keine Regeln gibt. Und natürlich finden sich Verfechter dafür, dieses umgehend zu ändern. Unreglementierte Bereiche scheinen sich für Qualitätsverantwortliche schlecht anzufühlen. Wenn etwas geregelt ist, ist Aktivität nachweisbar, die Gefahr der Angreifbarkeit sinkt. Das schafft ein gutes Gefühl. Der Preis dafür ist leider mit einem exponentiellen Dokumentenwachstum und erheblichen Folgeproblemen verbunden: Unübersichtlichkeit, Fremdbestimmung, Bürokratie, Entfremdung, …
Sie kennen das von ihrem Rechner oder IT-System: Wenn alle Sicherheitseinstellungen aktiviert sind und beachtet werden, wird nicht nur Schadsoftware abgewehrt, sondern viel Gutes unmöglich. Unser gedankliches Betriebssystem, unser Mindset, unsere QM-Logik enthält Schadsoftware: Die Platine, auf der der Leitgedanke „Viel hilft viel!“ eingraviert ist, muss ausgebaut werden. Wie das gehen kann?

  1. Einen neuen Leitgedanken fassen wie z.B. „Weniger ist mehr“ und diesen wie ein Mantra wiederholen.
    Hilfreich ist auch die Überführung in eine konkrete Frage: Was regeln wir in Zukunft nicht mehr?
    Verknüpfen Sie Ihre regelmäßigen QM-Sitzungen mit der Frage: Welche Regelung, welche Praktik, welches Dokument entsorgen wir feierlich als nächstes?
  2. Die Vorstellung von der durchgängigen Steuerbarkeit beerdigen.
    Je komplexer die Herausforderung, desto weniger können Sie alle Fäden in der Hand halten. Das gelingt nicht bei der Weltwirtschaft, nicht bei Corona und auch nicht in der Personalführung. Es liegt nicht an mangelndem Bemühen. Nicht alle Prozesse lassen sich einer Steuerungslogik unterwerfen. Denken Sie nur an Beziehungsprozesse. Manches kann nur entstehen, wann man Freiraum dafür gibt. Oder wie sonst entsteht Vertrauen, Verbundenheit oder Verantwortungsbereitschaft? Und bestimmte Haltungen und Verhaltensweisen entwickeln sich nur dann, wenn sie nicht im offiziellen Programm laufen.
  3. Gegenseitige Rückendeckung, Erinnerung und Bestätigung.
    Gedankliche Autobahnen zu verlassen ist nicht einfach. Was hilft ist gegenseitige Unterstützung und Bestätigung. „Wir wollten doch eigentlich reduzieren, oder?“ Und auf keinen Fall sollten wir bei Rückschlägen gleich mit einem „Siehste‘, hätten wir das Dokument noch, wäre das nicht passiert.“ übereinander herfallen.
  4. Experimentierräume schaffen.
    Denken Sie nicht zu groß und planen Sie vor allem nicht wasserfallartig alles detailliert durch. Starten Sie kleine, aber mutige Versuche. Nehmen Sie sich z.B. nicht gleich alle Dokumente der gesamten Organisation vor. Sondern starten Sie mit einem Arbeitsbereich, der Interesse daran hat mehr Selbstverantwortung zu leben und deren Führungskräfte über den Mut verfügen Unsicherheit auszuhalten.

Im Übrigen: Revolutionär ist die Logik des „Klugen Weglassens“, des „Nicht-mehr-Tuns“, wirklich nicht. Wir haben kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem. Im QM tun wir uns damit allerdings besonders schwer! Vermutlich, weil Planung und Regelung den Kern klassischer QM-Systeme ausmachen und somit die Grundmauern der QM-Logik ins Wanken geraten. Es ist an der Zeit auch den QM-Ansatz nochmal neu zu definieren. Auch in der allgemeinen Wahrnehmung ist der Begriff QM untrennbar mit Dokumenten und Handbüchern verbunden. Aber basiert gute Qualität wirklich vor allem auf klaren Regeln oder vielmehr auf Kompetenz und Engagement? Regeln helfen uns – keine Frage. Aber eben nur, wenn es wenige und klare sind und wenn sie auch mit Sinn und Verstand gebrochen werden dürfen. Aber durch Regeln und Dokumente entsteht kein Engagement. Die auf Absicherung und Reproduzierbarkeit ausgelegte QM-Logik verhindert Motivation.
Verzichten Sie auf detaillierte Regelung. Achten Sie darauf, dass zu vergebende Aufgaben von den umsetzenden Personen als sinnstiftend erlebt werden. Beschreiben Sie nur die wesentlichen handlungsleitenden Prinzipien. Schaffen Sie gute Dialog- und Reflexionsräume und geben Sie sich untereinander Rückendeckung für eigenverantwortliches Arbeiten. Ermöglichen Sie Autonomie durch Handlungsfreiräume und Entscheidungsspielräume. Lassen Sie die Mitarbeiter selbst denken und Erfahrungen sammeln. Und sorgen Sie dafür, dass alle direkte Rückmeldungen zu Ihrer Arbeit und deren Auswirkungen erhalten. So kann Selbstverantwortung wachsen und so können sie auf Unmengen von „Papier“ und dessen Ordnung verzichten.

2 Kommentare
  • Thomas Meidinger
    Antworten

    Überbordende dokumentierte Information (7.5) mit dem Ziel der totalen Regulation zum Zwecke der Risikominimierung untergräbt (Selbst)Bewußtsein (7.3) und (Selbst)Führung als Grundlagen von Entscheidungsfähigkeit. Dies wiederum führt zu mangelnder Achtsamkeit und Bereitschaft zur Übernahme von (Selbst)Verantwortung.
    Leider wird dies häufig durch eine (Un)Kultur von Fehler(erbsen)zählen, Schuldigen suchen und Abservieren geradezu herausgefordert.
    Eine selbstlernende Organisation entsteht daraus nicht.

    11. November 2021 at 13:05

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