Prozessumgebung – Eine Frage der Kultur?!
Sind Ihnen in einem ISO Audit zum Kapitel Prozessumgebung schon mal Fragen zur Organisationskultur gestellt worden?
Vermutlich nicht. Meist wird dieses Kapitel auf physikalische Faktoren (z.B. Hygiene, Lärm und Licht) bezogen, die gewiss nicht unwichtig sind, aber wenn man in den Original-Normentext schaut, auch nur an dritter Stelle gelistet werden. Punkt 1 und 2 schlagen vor, dass sich die Sicherstellung einer geeigneten Umgebung auf soziale und psychologische Fakten beziehen sollte. Wo wir ja ganz tief drin wären im Thema Organisationskultur. Nun werden Sie vielleicht aufführen, dass im Audit auch schon mal nach Gefährdungsanalysen und deren Berücksichtigung von psychosozialen Aspekten gefragt wird. Allerdings führen Gefährdungsanalysen meist zu sehr personenbezogenen Betrachtungen und reflektieren weniger die Kultur der Zusammenarbeit. Möglicherweise kommt jetzt der Einwand, dass man das ja auch schwer überprüfen kann.
Ja, das ist so, aber rechtfertigt das eine Reduktion des Themas auf leicht messbare Faktoren wie Hygienerisiken?
Und am Rande, vielleicht sollte man hier den Wert von Zertifikaten auch nochmal reflektieren. Es kann wohl kaum durch Externe eine gute Organisationskultur testiert werden. Testiert werden kann doch in dynamisch komplexen Themen/Arbeitsfeldern nur, dass sich eine Organisation dem Blick von außen gestellt hat und sich auf die Auseinandersetzung mit guten Fragen eingelassen hat. Gehen wir doch mal davon aus, dass die Organisationen, die in solchen Reflexionsdialogen zu guten Erkenntnissen kommen, diese auch in sinnstiftende Handlungen überführen werden – auch ohne, dass es ihnen ein externer Auditor vorschreibt. Und wenn ein Zertifikat diese Bereitschaft und das damit verbundene Engagement bestätigt, ist das doch schon eine ganze Menge.
Aber nun zurück zur Prozessumgebung und der Bedeutung von Kulturentwicklung.
Bei Bernd Schmid heißt es: „Kultur ist kein Ding, sondern eine Art, Leben zu koordinieren und mit anderen zu teilen. Sie beeinflusst Erfahrung und Verhalten wie ein Magnetfeld, das Kraftfelder strukturiert. Kultur zeigt sich in vielen Dingen wie menschlichen Gewohnheiten, Symbolen, wiederholten Ereignissen und Reaktionsmustern. … Durch Kultur kann das Beste in allen hervorgebracht werden und miteinander verbunden werden. So arbeiten und leben wir besser und gewinnen mehr Kompetenz und Würde. … Wer positiv an einer guten Kultur beteiligt ist, bei dem aktivieren sich intuitiv positive Versionen seiner selbst, die sich dabei mit besseren Versionen der anderen verbinden. … Wer schnell zur Sache will, sollte mit der Kultur anfangen.“ Dieser Apell müsste doch jeden Qualitätsmanager überzeugen, das Thema auf seine Agenda zu setzen. Und wer eine Legitimation dafür braucht, kann Kapitel 7.1.4 „Prozessumgebung“ der ISO 9001 hervorragend für eine Herleitung nutzen.
Im Qualitätsmanagement sind wir sehr an guten Ergebnissen interessiert. Dagegen spricht rein gar nichts. Die Frage ist aber, wie kommen wir zu diesen Ergebnissen? Was ist der Nährboden für langfristigen Erfolg? Reichen klare Ziele, transparente Aufgabenprofile und differenzierte Prozessbeschreibungen? Oder geht es nicht vielmehr um ein gemeinsames Sinnerleben und konstruktive Formen der Zusammenarbeit? Was ist der Klebstoff, der eine Organisation zusammenhält und zu dem macht, was sie ist? Wie lauten vor allem die unbewussten Spielregeln, nach denen eine Organisation tickt? Und welche davon sind förderlich und welche hemmend? Die Kultur einer Organisation gibt Auskunft darüber, was normal ist und was erwartet wird. Sie hat sich über Jahre bzw. Jahrzehnte entwickelt und dient eben genau dazu, erwartbares Verhalten zu reproduzieren, ohne sich jedes Mal darüber abstimmen zu müssen. Aber nicht immer ist diese gewachsene Kultur für anstehenden Aufgaben förderlich. Vielleicht sind andere Organisationen inzwischen innovativer und schneller oder schaffen es, die richtig guten Mitarbeiter langfristig zu binden. Der erste Schritt in Richtung Kulturentwicklung ist es, sie erstmal zum Beobachtungsgegenstand zu machen. Kultur lässt sich nicht gleichermaßen entwickeln wie ein Prozess oder eine Strategie. Aber Veränderung beginnt meist schon mit dem schlichten Hinspüren und Hinsehen:
- Welche Muster prägen unsere Zusammenarbeit?
- Welche Grundüberzeugungen bestimmen unser Denken und Handeln?
- Wie reden wir miteinander und wie hören wir uns gegenseitig zu?
- Wie werden Entscheidungen getroffen?
- Welche Rolle spielen Werte wie Vertrauen, Respekt, Anerkennung etc. im alltäglichen Miteinander? …
Eine gelungene Auseinandersetzung mit diesen Fragenstellungen kann die Qualität der Arbeit unglaublich befeuern. Und wieder zeigt sich, dass die Arbeit mit der ISO 9001 nicht bürokratisch, kleinkariert und bevormundend sein muss!
Also, machen Sie was draus 😊.
Hiermit schließe ich die kleine Serie zum Kapitel Unterstützung der ISO 9001 ab. Ehrlich gesagt, bin ich selbst überrascht, über die Wochen der Auseinandersetzung damit, nochmal wieder so viele sinnstiftende Verknüpfungsmöglichkeiten gefunden zu haben. Weiter geht es mit inhaltlichen Blogbeiträgen erst im Januar. Dann möchte ich mich in einer kleinen Abfolge von Beiträgen mit den Begriffen Fehler und Beschwerden auseinandersetzen. Kommen Sie gut und gesund ins Neue Jahr!
Rainer Röth
Besten Dank für die horizonterweiternden Beiträge, die ich immer wieder gerne lese.
Elisabeth Trubel
Danke! Das freuet mich sehr!!!