Kennzahlen sorgen für Objektivität und Klarheit

Kennzahlen sorgen für Objektivität und Klarheit

Mein Schlüsselerlebnis zu diesem Blog hatte ich schon 2014 als ich kurz vor Fertigstellung der DIN EN ISO 9001:2015 auf einer großen Veranstaltung in Kooperation zwischen der Deutschen Gesellschaft für Qualität und dem Beuth-Verlag war. Wir (ca. 90 % Vertreter aus der Industrie; ca. 10 % aus dem Gesundheits- und Sozialwesen) sollten uns in Arbeitsgruppen mit den Neuerungen von Kapitel 4.4. der ISO auseinandersetzen und u.a. Leistungsindikatoren für den Auditprozess bestimmen. In den Arbeitsgruppen wurde dann z.B. über die Anzahl von Abweichungen oder die Anzahl der am Audit beteiligten Mitarbeiter diskutiert. Alles Aspekte die ich zählen kann, aber mit welchem Nutzen? Und vor allem welche Bedeutung hat die Aussage? Mit der Anzahl von Abweichungen in Audits ist es schließlich genauso wie mit der Anzahl von Beschwerden. Viele Beschwerden können gleichermaßen ein Indikator für eine hohe Unzufriedenheit sein wie auch für ein funktionierendes System – Dank offener Gesprächskultur. Wenige Abweichungen können als gute Qualität oder auch oberflächliches Auditergebnis oder gute Inszenierung der Auditteilnehmer interpretiert werden.
Schon an diesen Beispielen wird deutlich, jede Kennzahl hat ihre eigene Lesart und ist alles andere als objektiv. Konfrontiert mit meinem Unmut über derlei Kennzahlen, lieferte mir die damalige Referentin als für sie geeigneten Indikator für den Auditprozess die Anzahl der geplanten Audits zu der Anzahl der durchgeführten Audits. Und damit war das Thema für sie dann auch schon erledigt. Für mich war der Unmut aber jetzt erst richtig groß. Gerade solche Kennzahlen führen u.U. dramatisch in die Irre. Für mich ist ein Audit dann erfolgreich, wenn die Teilnehmenden neue Erkenntnisse gewonnen haben; wenn sie motiviert aus dem Audit hervorgehen und Lust haben, am anderen Tag das ein oder andere Veränderungsprojekt in Angriff zu nehmen; oder wenn sie schlicht und einfach Wertschätzung für ihre Arbeit erfahren haben und aus dieser Bestätigung Motivation für Weiterentwicklungen ziehen. So etwas kann ich nicht messen. So etwas kann ich nur qualitativ reflektieren: Machen die Audits, so wie wir sie aktuell durchführen, Sinn? Gehen die Mitarbeiter gerne zu einem Auditgespräch, weil sie es als wichtig empfinden, gemeinsam die Arbeit zu reflektieren? Die ISO eröffnet im Übrigen ausdrücklich die Diskussion einer solchen Prozess- und Leistungsreflexion. Schlägt man in der 9000 Norm den Begriff Leistung nach, so kann man dort erfahren, dass sich Leistung auf quantitative oder qualitative Feststellungen beziehen kann. In der QM-Landschaft wird dies aber leider allzu schnell auf messbare Kennzahlen reduziert. Wenn dies etwas nutzen würde, wäre es ja noch okay. Aber in dem oben skizzierten Fall, richtet eine solche Kennzahlenauswahl aus meiner Sicht eher Schaden am. Wenn der Leistungsindikator für den Auditprozess geplante Audits zu durchgeführten Audits ist, dann setze ich als QMLer oder QM-Team doch alles dran, die Audits wie geplant durchzuführen – egal wie – Hauptsache durchgeführt. Und damit verrutscht die Aufmerksamkeit von der inhaltlichen Qualität zu formellen Nebensächlichkeiten. Wenn das Audit an sich eine gute Sache ist, werden die Beteiligten alles dran setzen, dass es stattfindet. Und wenn es dann mal nicht stattfindet wird es sicherlich gute Gründe dafür geben. Schon Albert Einstein hat gesagt: „Nicht alles was zählt, kann man zählen. Und nicht alles was man zählen kann, zählt.“
Ich bin nicht gegen Kennzahlen, keineswegs. Kennzahlen sind vor allem dann gut, wenn sie zu guten Fragen und zur Reflexion anregen. Mich stören vor allem zwei Dinge: Zum einen werden Kennzahlen insbesondere in der häufig hochkomplexen sozialen Arbeit völlig überwertet. Zum anderen finde ich den Umgang mit Kennzahlen immer dann fragwürdig, wenn er zu einer relativ einseitigen Bewertung führt und Menschen unter einen Rechtfertigungszwang setzt. Es macht keinen Sinn, einem Arzt im Krankenhaus aufzuerlegen, dass er xy Hüften pro Quartal operieren muss, und es macht keinen Sinn, dass Referenten von Verbänden ihre Reisekosten zwei Jahre im Voraus abschätzen sollen und sich im aktuellen Jahr dafür legitimieren müssen warum sie weniger oder mehr gereist sind als geplant.
Zusammenfassend: Kennzahlen führen oft zu einer Konzentration auf Messbares aber Unwichtiges. Sie reduzieren Wahrnehmungen und betonen rationale Aspekte. Sie sind immer im Zusammenhang mit kontextbezogenen Interpretationen und subjektiven Lesearten zu betrachten. Ich plädiere für einen deutlich entspannteren und flexibleren Umgang mit Kennzahlen.
Interessieren Sie sich für die qualitativen Fragen, die diese aufwerfen, aber vermeiden Sie einseitige Bewertungen.

2 Kommentare
  • Corinna Horn
    Antworten

    Ich würde das mit den Kennzahlen auch gern entspannter sehen, aber in unserem Bereich hängt die Finanzierung der Beratungsstellen ggf. auch von Kennzahlen/Beratungskontakten ab. Alternativen zu dieser Finanzierung (Kosten-Leistungs-Rechnung) gibt es leider nicht.

    16. Mai 2019 at 8:36

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