Vertrauen: Kontrolle abgeben und Unsicherheit aushalten

Vertrauen: Kontrolle abgeben und Unsicherheit aushalten

Impulse zur Auseinandersetzung mit den vier Flügelflächen des Schmetterlings (1)
Mir sind in meinem bisherigen beruflichen Leben oft neue und auch große Aufgaben anvertraut worden. Dies hat mich immer unglaublich motiviert und zu Höchstleistungen inspiriert. Ich durfte diese Erfahrung übrigens schon gleich zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn machen, also zu einem Zeitpunkt, zu dem der kritische Menschenverstand vielleicht erst mal Vorsicht hätte walten lassen, durfte ich mit einem großen Vertrauensvorschuss starten. Ich bin überzeugt, dass diese Erfahrung meinen weiteren beruflichen Werdegang nachhaltig geprägt hat. Natürlich ist bei diesen Herausforderungen nicht immer alles glatt gegangen und natürlich sind auch mir Irrtümer und Fehler unterlaufen. Aber der Vertrauensvorschuss, der mir oft geschenkt wurde, hat nicht nur meine Motivation, sondern auch meine Bereitschaft zur Analyse meiner eigenen Fehler und zum Lernen gestärkt. Das mir entgegenbrachte Vertrauen hat mir Sicherheit gegeben, es hat mich gewissermaßen in ein Kraftfeld versetzt, aus dem heraus es mir möglich war, engagiert und innovativ zu handeln. In meinem Berufsleben gibt es Gott sei Dank nur wenige andere Erfahrungen. Ich war zum Beispiel einige Jahre für eine Organisation als Fortbildungsreferentin tätig, deren Schulungsvorgaben sehr stark normiert waren. Ich wurde mit organisatorischen Vorgaben konfrontiert, die ich nicht gleich verstanden habe, was mit Unmut und Ungeduld zur Kenntnis genommen wurde. Zu einem aus meiner Sicht sehr ungünstigen Zeitpunkt wurden die Teilnehmer zur Wirksamkeit meiner Schulung befragt, was zu einem eher negativen Ergebnis führte. Dies wurde schriftlich an mich weitergeleitet mit einem Bogen für Verbesserungsvorschläge. Ich habe mich in meiner Arbeit abgewertet gefühlt und meine sonst durchaus vorhandene Kritikfähigkeit mündetet in eine ausgeprägte Rechtfertigungslogik.
Vermutlich wollte auch mein damaliger Auftraggeber weder mir noch der Bildungsarbeit bewusst schaden. Aber dennoch möchte ich gerne dafür sensibilisieren zu reflektieren, was wir in Organisationen mit den vielfältigen QM-Regeln und QM-Instrumenten auch unbewusst ausdrücken bzw. welche Botschaft dadurch an die Mitarbeiter transportiert wird. Wir sollten uns immer wieder fragen, ob unsere Regeln und vor allem Instrumente vom Vertrauen in die Kompetenz und das Potential der Mitarbeiter motiviert sind, oder ob sie auf Basis von Nicht-Vertrauen oder schlimmer noch Misstrauen basieren. Und hier ist es wichtig, wirklich auf die indirekten Botschaften zu achten bzw. diese mit den Mitarbeitern gezielt zu reflektieren. Wie häufig wird die Schuldfrage gestellt? Wie detailliert diktieren wir den Mitarbeitern ins QM-Handbuch, was sie zu tun und zu lassen haben? Wie engmaschig überprüfen wir mit Listen, ob Einzelne ihre Aufgaben erfüllt haben? … Spüren Sie systematisch Misstrauen im QM-System auf und setzen sie sich damit auseinander. Bedenken Sie: Vertrauen motiviert – Misstrauen zerstört Motivation. Gerhard Wohland, den ich in diesen Blogbeiträgen schon häufiger zitiert habe, sagt: Unter den richtigen Bedingungen arbeiten die Menschen gerne und mit hohem Verantwortungsbewusstsein. Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn sehr oft unter diesen Bedingungen arbeiten dürfen, heute würde ich Aufträge im Kontext von Misstrauen gar nicht mehr annehmen. Ich bin sicherlich auch von meinem Charakter her ein engagierter und ehrgeiziger Mensch. Aber ich gebe gerne auch zu, dass ich diesen Ehrgeiz und dieses Engagement je nach Rahmen unterschiedlich zeige. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht vom Verhalten eines Einzelnen, das dieser im Arbeitskontext zeigt, zu viele Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit ziehen. D.h. nur weil wir jemanden im Arbeitsalltag als wenig engagiert erleben, heißt das nicht, dass es sich um einen „Low-Performer“ handelt. Dieser Mensch ist in anderen Kontexten vielleicht unglaublich engagiert, vielleicht hat er ein Haus gebaut oder managet den Sportverein. Ich z.B. habe keine Probleme, im Kontext meiner Arbeit vor vielen Menschen zu sprechen. Beim Elternabend in der Schule dagegen bin ich häufig ein sehr stilles Wasser. Das hat aus meiner Sicht weniger etwas mit mir als Person zu tun, sondern mit dem Konstrukt Elternabend (so wie ich dies bisher erleben durfte).
Daher ist für mich die zentrale Frage: Wie muss ein QM-System gestaltet sein, das von intrinsisch motivierten, zur Selbststeuerung fähigen und grundsätzlich vertrauenswürdigen Mitarbeitern ausgeht?
Und falls Sie noch Bedenken haben: Vielleicht ist unter 100 Mitarbeitern tatsächlich einer der Ihr Vertrauen missbraucht – aber ist es denn dann richtig, gleich alle 99 anderen mit unter Generalverdacht zu stellen? Seien Sie also wachsam für institutionalisiertes Misstrauen und versuchen Sie dieses in kleinen Schritten in Vertrauen zu wenden. Qualitätsentwicklung potentialorientiert zu gestalten bedeutet damit aber ganz klar auch – Unsicherheiten auszuhalten. Vertrauen bedeutet Kontrolle abgeben und Unsicherheit aushalten. Dies ist eigentlich unabdingbar, zumal ich in einem der vorherigen Blogbeiträge schon auf die Kontroll-Illusion verwiesen habe, der wir nicht nur, aber gerne auch im Qualitätsmanagement sehr schnell auf den Leim gehen.
s. auch Blogbeitrag vom 27.06.2019 . Hier wird die Anwendung eines Impuls- und Workshop-/Plakates zur potentialorientierten Qualitätsentwicklung vorgestellt.

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