Beteiligung: Mit anderen denken, nicht für andere denken

Beteiligung: Mit anderen denken, nicht für andere denken

Impulse zur Auseinandersetzung mit den vier Flügelflächen des Schmetterlings (3)
Ich selbst bin so überzeugt von der Qualitätsdiskussion, dass ich mich jahrelang immer wieder gefragt habe, warum tun sich andere so schwer mit dem Thema. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung bin ich nicht nur auf einige der in diesem Blog bereits vorgestellten Denkfehler gestoßen, sondern auch auf sagen wir mal „methodische“ Mängel im Qualitätsmanagement. Auch hier hat wieder niemand absichtlich etwas falsch gemacht. Eher tragen wir noch Überlieferungen aus dem Industriezeitalter mit uns herum, die in der heutigen dynamisch-komplexen Welt einfach nicht mehr passen und im Gesundheits- und Sozialwesen womöglich noch nie gepasst haben. „Das Denken soll man den Pferden überlassen, die haben einen größeren Kopf.“ Kennen Sie diesen Spruch? Aus dieser Logik heraus hat sich unter prägenden Gedanken von Frederick Winslow Taylor im Zeitalter der Industrialisierung zunächst die Qualitätssicherung und dann das Qualitätsmanagement entwickelt. Arbeitsabläufe wurden vom besser qualifizierten Management detailliert vordefiniert, so dass der einfache Arbeiter diese nur mehr oder weniger stumpf abzuarbeiten hatte. Mitdenken war nicht erforderlich und zu Teil auch gar nicht erwünscht. Wer Lust hat, sich diese Zusammenhänge noch mal sehr anschaulich erklären zu lassen, dem kann ich das Video von Mark Poppenborg von Intrinsify empfehlen https://www.youtube.com/watch?v=GpXeerWFbJk (Sehdauer ca. 40 min). Taylor ist lange tot. Sein mechanistisch geprägtes Denken und seine Form der Arbeitsorganisation sind aber noch immer allgegenwärtig. Kluge Menschen (genannt z.B. Führungskräfte, QM-Verantwortliche oder Qualitätszirkel-Mitarbeiter) denken für andere vor – mit gut gemeinten Absichten, wie schon vorher erwähnt. Es ist ja auch so viel einfacher und spart Zeit und Energie. Wirklich?
Wie reagieren Sie, wenn Ihnen immer wieder neue Regeln vor die Nase gelegt werden, die sie zu befolgen und zu beachten haben. Mit Begeisterung und Enthusiasmus? Ich bin da skeptisch. Ich kenne viele Menschen, die sich durch immer neue und andere Regeln regelrecht fremdbestimmt fühlen. Vielleicht argumentieren Sie jetzt, dass viele Menschen genau das wollen, kleinschrittige Regeln, die ihnen Sicherheit und Orientierung geben. Vielleicht. Vielleicht gibt es ein paar. Die meisten, so vermute ich, ist diese Rolle regelrecht anerzogen worden. Jetzt kommt Ihnen vielleicht als Gegenargument, dass ja grundsätzlich alle Mitarbeiter in Qualitätszirkeln mitarbeiten können, aber sich häufig nur wenige Freiwillige melden. Sind einzelne sicherlich gut gemeinte Einzelmaßnahmen wirklich überzeugend? Stehen sie für eine partizipative und dialogorientierte Organisationskultur oder handelt es sich manchmal eher um eine Art „Feigenblatt“, dass die Mitarbeiter zurecht misstrauisch beäugen?
Und dann ist da ja immer noch das Argument mit den Ressourcen und der Zeit. Es sei ja nicht möglich, in Einrichtungen oder Arbeitsfeldern mit 20, 50, 100 oder noch mehr Mitarbeitern alle miteinzubeziehen. Auch da habe ich Zweifel:
1. Im Qualitätsmanagement wird vieles immer gerne zentral gesteuert – weil es ja so viel Zeit spart. Dies glaube ich schlicht nicht.
Denn, wenn ich die zentrale Steuerung konsequent umsetzen will, muss ich unglaublich viel in eine gute Kommunikation investieren, damit die von anderen ausgedachten Regeln dann auch im jeweiligen Arbeitsbereich verstanden, akzeptiert und befolgt werden. Da bei diesen Kommunikationsprozessen aber gerne gespart wird, ist das Ergebnis, dass Regeln nicht oder nur halbherzig umgesetzt werden.
2. Zentrale Steuerung ist vorteilhaft für Führungskräfte und Qualitätsbeauftragte. Die Anzahl der Mitarbeiter, die von der zentralen Steuerung nicht zwingend profitieren, ist in der Regel deutlich größer. Ich spreche jetzt nicht davon, dass es in einer Organisation mit 500 Mitarbeitern unterschiedliche Verfahren zur Gehaltsabrechnung geben sollte – hier löst Zentralisierung womöglich auch nur geringe Widerstände aus. Aber müssen wirklich alle Arbeitsfelder dieser Organisation die gleiche Protokollvorlage verwenden und die gleiche Regelung zum Fehler- und Beschwerdemanagement befolgen? Wäre es nicht unter dem Strich zeitsparender, wenn jedes Arbeitsfeld eigene aber akzeptierte Regeln entwickeln/behalten kann, anstelle alle mühsam und ggf. sogar erfolglos auf etwas ungeliebtes Zentrales zu verpflichten?
3. Es gibt viele Methoden der Großgruppenarbeit, die die Einbeziehung Vieler ermöglichen: Open Space, Word Café etc. seien hier als Beispiele genannt (Weitere Informationen finden Sie dazu auch in Kap. 3 meines Buches Qualitätsmanagement visuell verstehen, vermitteln und verankern, Lambertus 2016). Ja, dies ist am Anfang eine Investition – aber wenn ein akzeptiertes Ergebnis dabei herauskommt womöglich eine sehr lohnenswerte und effiziente. Ruth Cohn, eine der einflussreichsten Vertreterinnen der humanistischen Psychologie hat gesagt: Wenn Du wenig Zeit hast, dann nimm Dir am Anfang viel davon.
4. Auch für Ausgestaltungs- und Entscheidungsprozesse gibt es inzwischen unterschiedlichste Methoden und Ansätze: Die Arbeit mit Pilotgruppen oder Arbeitsgruppen, die den Querschnitt einer Organisation wiederspiegeln, mit wechselnden Sprechern besetzte Steuerungsgremien oder sogenannte Sounding-Boards, die Stimmen aus der Mitarbeiterschaft einfangen und in den weiteren Prozess einspielen. All das funktioniert aber nur, wenn es nicht nur einmalig isoliert stattfindet, sondern eingebettet ist in die Kultur der Organisation
5. Je besser es von Anfang an gelingt, das Regelwerk auf das wirklich, wirklich Notwendige zu begrenzen, desto weniger dieser vermeintlich aufwändigen Partizipationsprozesse benötigt eine Organisation.
Mit anderen denken, nicht für andere denken. Ein Grundsatz der bei konsequenter Befolgung dem Qualitätsmanagement zu viel Akzeptanz verhelfen kann

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