Die Kunst des „WIR“

Die Kunst des „WIR“

Wie ein gemeinschaftlicher Blick auf Systeme, Organisationen, Gruppen und Teams Respekt ausdrückt, Verantwortungsübername ermöglicht und Handlungsmöglichkeiten aufzeigt.
Sie kennen bestimmt solche Gedanken oder Gespräche: Die Politik ist schlecht. Das Gesundheitssystem taugt nicht. Das Qualitätsmanagement schafft nur Bürokratie. Die Führungskräfte machen das nie mit. Die Pädagogen werden sich sträuben. …
Wir distanzieren uns mit solchen Aussagen von bestimmten Systemen oder Gruppen und drücken unsere Ablehnung gegenüber damit verbundenen Positionen, Auswirkungen oder Verhaltensweisen aus. Das Problem liegt irgendwo da draußen und würde sich lösen lassen, wenn sich DIE Anderen ändern. Solche Gedanken sind nicht verwerflich, aber blenden wir damit nicht zu schnell unsere Anteile am Geschehen aus? Moment, werden sie jetzt vielleicht denken, für die Politik und das daraus resultierende Gesundheitssystem übernehmen sie vielleicht noch eine klitzekleine Mitverantwortung: Sie waren ja (vermutlich) wählen. Aber das QM hat nun doch wohl wirklich die Geschäftsführung alleine entschieden und dafür, dass die Pädagogen so bockig sind können sie doch nun auch nichts.
Es geht auch überhaupt nicht um Schuld. Es geht darum, die mit dieser Haltung verbundene Position zu hinterfragen und vor allem zu reflektieren, welche Auswirkungen sie hat. Also die Entscheidung für QM hat die Führung getroffen. Sind Sie deshalb „Opfer“ dieser Entscheidung? Haben Sie wirklich alle Ihre Möglichkeiten zur Beteiligung ausgeschöpft? Oder sind Sie sogar Nutznießer dieser Entscheidung, weil Sie die Rolle eines/einer QM-Beauftragten innehaben, die es ohne QM gar nicht gäbe? Beklagen wir uns nicht manchmal über Systeme, von denen wir einerseits direkt oder indirekt auch profitieren oder für deren Erhalt wir (wenn wir mal ganz ganz ehrlich zu uns sind) auch Mitverantwortung tragen?
Nehmen wir die aktuelle Klimadiskussion: Es ist so leicht über die Industrie und die Politik zu schimpfen. Aber selbst klimafreundlich zu leben ist alles andere als leicht. Mir geht es zumindest so. Wir haben uns in diesem Jahr „einen Diesel“ gekauft und bedingt durch meine Tätigkeit reise ich damit auch viel umher. Klar bin ich für eine bessere Klimapolitik … aber hoffentlich werden die Einschnitte in die Verkehrspolitik nicht allzu radikal und erst später in Angriff genommen … denke ich … während ich gleichzeitig weiß, dass das hochgradig unehrlich und inkonsequent ist.
Vor kurzem sprach ich mit einer QM-Beauftragten, die sich darüber beklagte, dass die Führung QM nicht ernst genug nehme, sie nicht unterstütze und viel zu geringe Ressourcen bereitstelle. Gleichzeitig bekleidet sie dieses Amt aber schon seit mehreren Jahren, d.h. sie sorgt mit dafür, dass sich genau dieses System etabliert. Sie hat zwar ihren Chef immer wieder auf die relevanten Missstände hingewiesen, aber ist trotzdem in dem System geblieben und hat damit zu dessen Bewahrung beigetragen.
Peter Senge wird im Buch von Otto Scharmer (Essentials der Theorie U, 2019) so zitiert: Organisationen funktionieren so, wie Menschen sie gestalten. Doch Menschen in den Organisationen behaupten, dass das „System“ ihre Probleme verursacht. Es ist immer etwas von außen Kommendes, ein „Ding“, das über sie gestülpt wird. … Gedanken bringen Organisationen hervor und dann halten Organisationen die Menschen als Gefangene.“ Oder nach dem Quantenphysiker David Bohm: Gedanken erschaffen die Welt, und dann sagen sie: „Das waren wir nicht!“
Um wirklich etwas verändern zu wollen, ist es wichtig, aus dem Spiel „DIE-Anderen“ auszusteigen und in ein aussagekräftiges „WIR“ zu wechseln. Das beginnt mit Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und dem Aufspüren der eigenen Anteile. Inwiefern unterstütze ich durch mein Verhalten, das bisherige System? Manchmal sind die Möglichkeiten nur klein und manchmal auch nur indirekt vorhanden. Häufig gibt es aber mehr Handlungsspielräume als angenommen. Und wenn ich Handlungsräume sehe, kann ich auch die Verantwortung nicht mehr so einfach auf die „DIE-Anderen“ abschieben. Wenn man den Satz: „DIE müssen das System ändern“ in „WIR müssen das System ändern“ umformuliert, sind vor allem erstmal die impliziten Vorwürfe vom Tisch. Niemand fühlt sich angegriffen, niemand muss sich rechtfertigen. Eine gute Ausgangslage für Veränderung wie ich finde und allgemein gültig: Für die Klimapolitik genauso wie für QM-Systeme.
Steve Jobs hat es so formuliert. „Love it, change it oder leave it“. Bevor sie alle Ihren Job schmeißen… ich bin der absolut festen Überzeugung, dass es in jedem beruflichen Kontext kleine Stellschrauben gibt, die jeder einzelne drehen kann für mehr eigene Zufriedenheit und damit womöglich auch für mehr Qualität. Das kann bedeuten, sich gegen eingefahrene Praktiken zu wenden, inspirierende Fragen zu stellen oder vielleicht auch nur erstmal die Perspektive des Gegenübers bewusst wahrzunehmen und zu verstehen. Durch ein „WIR“ kann echte Veränderungskraft entstehen, das ist nicht immer einfach, aber lohnenswert.

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