Jetzt wird es politisch! Zum echten Nutzen einer Qualitätspolitik

Jetzt wird es politisch! Zum echten Nutzen einer Qualitätspolitik

In der Praxis begegnen mir vor allem zwei Umsetzungsvarianten zur Qualitätspolitik.
Variante 1: Leitbild und Qualitätspolitik werden gleichgesetzt, weil ja auch die ISO hier keine Differenzierung fordert.
Variante 2: Es gibt eine separate Qualitätspolitik, die sich zum Beispiel an den QM-Grundsätzen der ISO orientiert, die aber bei näherem Hinschauen für den Organisationsalltag eher belanglos ist. Okay, da steht sicher was drin von kontinuierlicher Verbesserung und Kund*innenorientierung und so, aber das ist häufig so universell, dass a) niemand etwas dagegen haben kann und b) es auch schwer ist, diese allgemeinen Sätze zu missachten: oder findet bei Ihnen etwa überhaupt keine Verbesserung statt. Daher meine Anregung heute, warum die Qualitätspolitik nicht zu einem bedeutungsvollen Strategiepapier machen? Kritiker*innen werden jetzt vielleicht sagen: „Wenn die Q-Politik bisher eh niemand wirklich gebraucht hat, wäre es nicht konsequenter gleich ganz drauf zu verzichten?“ Auch wenn ich in vielerlei Hinsicht für das Weglassen von Regeln plädiere, kann die Politik hier eine aus meiner Sicht bisher gar nicht (oder zumindest viel zu wenig) beachtete Lücke füllen?
Wie ticken wir eigentlich in Sachen „Qualität/Qualitätsmanagement“ in der Organisation?
Wie in den vorherigen Blog-Beiträgen ist dies für mich der Dreh- und Angelpunkt für den nachhaltigen Erfolg aller QM-Initiativen, mit dem sich Organisationen allerdings gar nicht oder zumindest viel zu wenig beschäftigen. Die Qualitätspolitik könnte den passenden Rahmen dafür bieten. Ein anderes Wort für Politik ist „Strategie“, ein alternativer Begriff für Strategie ist „Weg“. Welchen Weg wählen wir zur Umsetzung unserer Qualitätsanforderungen bzw. unseres Qualitätsversprechens? Niemand würde im Straßenverkehr eine Route planen, ohne den Ausgangspunkt zu kennen. Im QM tappen wir in dieser Hinsicht häufig im Nebel. Moment, werden Sie vielleicht denken, wir wissen doch sehr wohl wir stehen: Wir können Auskunft geben über die bearbeiteten Kapitel der ISO, die Abweichungen im Audit, die erreichten Qualitätsziele und die aufgenommen Beschwerden etc. Übertragen auf den Straßenverkehr: Sie sehen Leitplanken, Straßenschilder und die Tachoanzeige auf Ihrem Fahrzeug beobachten Sie auch, reicht das nicht?
Aber wo sind Sie eigentlich unterwegs? Das Autofahren nicht gleich Autofahren ist, stellt man z.B. im Urlaub fest, wenn sich der deutsche Autoliebhaber ins italienische Getümmel wagt. Italiener*innen fahren etwas mehr nach Gefühl als nach Regeln, diese werden eher als unverbindliche Empfehlungen betrachtet, denn als zwingend einzuhaltende Vorschriften. Die Statistik belegt, dass in Italien deutlich seltener schwere Unfälle passieren als in Deutschland. Blechschäden hingegen kommen recht häufig vor – der Umgang damit ist allerdings eher locker. Also auch im Straßenverkehr ist das Mind-Set von nicht unerheblicher Bedeutung. Die Metapher könnte man noch weiter bemühen: Wie ist es, wenn man auf Malta unvorbereitet mit dem Linksverkehr konfrontiert wird oder in Indien eine heilige Kuh auf der Straße steht…. Bleiben wir aber bei der Wege- und Strategieplanung im Qualitätsmanagement, hier genannt Qualitätspolitik. Um Ziele zu erreichen, reicht es nicht, diese messbar zu definieren, den Weg dorthin mit Methoden zu pflastern und mit Regeln zu umsäumen. Erfolg entsteht im Kopf – Sie finden unzählige Webseiten oder Veröffentlichungen zu diesem Slogan. Bzw. ich behaupte, wenn Denken und Handeln nicht übereinstimmen, können die vorhandenen persönlichen oder team- bzw. organisationsinternen Potentiale nicht zur (vollen) Entfaltung kommen. Also warum nicht mal ein mutiges Dokument zur Qualitätspolitik verfassen mit Sätzen zum Bild von Menschen und ihrer Arbeit und zu den internen Überzeugungen zum Stichwort Beteiligung oder ähnlichem. Also stellen Sie sich vor, eine Organisation formuliert in Ihrer Qualitätspolitik folgenden Aussagen:

„Unser Qualitätsmanagement baut auf dem Grundsatz auf, dass alle Leitungskräfte und Mitarbeiter*innen ihr Bestes geben, immer. Mit unserem Qualitätsmanagement schaffen wir Rahmenbedingungen, die es allen leicht machen Verantwortung zu übernehmen und aus Fehlern zu lernen. Dabei legen wir Wert auf eine dialogische Reflexion auf Augenhöhe. Wir nutzen Kennzahlen als Hinweisgeber, wissen aber, dass diese niemals Antworten geben, sondern nur zu guten Fragen anregen. Wir setzen uns motivierende Ziele, vermeiden aber einen fixierten Umgang mit diesen – nur so können wir individuell und flexibel – sprich agil- agieren.“

Ich finde, da steckt Musik drin. Und ein bisschen mehr Schwung würde dem manchmal doch sehr bürokratisch angestaubten QM echt gut tun.
Sie sind nach ISO 9001:2015 zertifiziert und haben Sorge, dass Ihr Zertifizierungsunternehmen, so eine „vertrauensduselige, naive und schwammige“ Qualitätspolitik nicht mit macht? Ich habe in den letzten 25 Jahren viele Zertifizierungsunternehmen kennengelernt und die Bandbreite ist auch hier sehr groß. Eine schriftliche Qualitätspolitik wie oben mal ganz grob skizziert, dient nicht nur der internen Verbindlichkeit. Sie bietet u.a. auch die Möglichkeit, interessierten Zertifizierungsunternehmen darzulegen, wie „die Organisation tickt“, verbunden mit der Frage, ob das Unternehmen Interesse hat den Qualitätsentwicklungsprozess durch externe Audits in diesem Sinne zu unterstützen (nicht behindern – auch das findet leider statt). Eine potentialorientierte Qualitätspolitik lohnt sich. Unbedingt – finde ich! Und Sie?

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