Kritik – entwicklungsfördernd oder hemmend?

Kritik – entwicklungsfördernd oder hemmend?

Gute Kritik ermöglicht Entwicklung – habe ich in einem Führungsratgeber gelesen. Das scheint auch allgemein anerkanntes Gesellschaftswissen zu sein. Wenn ich z.B. an die schulischen Erfahrungen meiner Kinder denke wird an Kritik nicht unbedingt gespart. Bei Wikipedia wird Kritik als Beurteilung einer Handlung anhand von Maßstäben definiert. Vermutlich geht es nicht nur meinen Kindern so, dass sie bei dem Abgleich des angelegten Maßstabes nicht unbedingt bestens abschneiden. Ehrlich gesagt erlebe ich diese Kritik auch als Mutter häufig eher als frustrierend, denn als entwicklungsfördernd – auch wenn es womöglich häufig gut gemeint ist. In Bezug auf die Qualität von Kritik gibt es zahlreiche Ratgeber. Konstruktive Kritik ist höflich, sachlich und enthält konkrete Verbesserungsvorschläge konnte ich lesen. Und sie sollte wohlwollend sein und aus dem Motiv formuliert werden, dem Gegenüber zu helfen.
Problem Nr. 1 beim Thema Kritik ist, das die angelegten Maßstäbe, häufig als allgemeingültig angesehen werden, obwohl sie immer nur für eine von vielen Perspektiven auf ein Thema bzw. eine Handlung stehen.
Problem Nr. 2: Kritik läuft nicht selten auf die Gefahr eines Negativissmusses bzw. einer ausgeprägten Defizitorientierung hinaus. Kinder, Erwachsene … Menschen, die regelmäßig einer Kompetenzbewertung ausgesetzt sind, können nur schwer ein Gefühl für ihre eigene Größe entwickeln, sondern nur für die mit dem Maßstab verglichenen Stärken und Schwächen.
Problem Nr. 3: Kritik wirkt sehr schnell verletzend, vor allem dann, wenn sich die Kritisierten nicht in ihrer Ganzheit mit all ihren Leistungen, Potentialen gesehen fühlen. Das Gehirn konstruiert Rechtfertigungen und schmiedet ggf. sogar Rachepläne. Menschen, die kritisiert werden, werden in aller Regel nicht in ihr Kraftfeld versetzt – sie gehen selten beflügelt aus einem Kritikgespräch heraus.
Lösung Nr. 1. Wenn ich jemandem helfen möchte bzw. ihn tatsächlich in seiner Entwicklung stärken möchte, muss ich in ihm eine positive Resonanz erzeugen. Unser Ansatz der potentialorientierten Qualitätsentwicklung basiert auf der Überzeugung, dass alle Menschen unendlich viele Talente in sich tragen und den Wunsch haben, große Teile davon auch zu entwickeln und zu zeigen. Sie wollen sich bedeutsam fühlen und mit ihrem Können auch gesehen werden. Wenn wir die Größe des anderen wahrnehmen und würdigen, löst dies einen positiven Resonanzprozess in ihnen aus, so dass Stärken ausgebaut und wahrgenommene Potentiale entwickelt werden. Mit meiner Tochter z.B. habe ich sehr unterschiedliche Erfahrungen mit Reitlehrerinnen gemacht. In einem Fall hat sie sich viel Kritik anhören müssen, unbestritten war vieles davon auch berechtigt. Aber in der Folge ist sie immer unsicherer geworden und hat mehr Fehler gemacht mit dem Ergebnis, dass sie gar nicht mehr reiten wollte. Als wir nach einer längeren Pause einen Versuch in einem anderen Reitstall gewagt haben, hat die Reitlehrerin ihr am Ende der ersten Probestunde das zusammengefasste Feedback „Naturtalent“ gegeben. Ob das jetzt objektiv berechtigt war, darüber kann man sicherlich streiten, aber die Wirkung war unglaublich – das Gefühl: „Ich werde mit meinen Fähigkeiten gesehen“ hat sie sehr gestärkt und motiviert. Und auf der Basis, dass sie ein Naturtalent ist, konnte sie dann die durchaus folgenden Kritiken an Haltung und Zügelführung etc. gut annehmen. Ich glaube, dass es nicht nur Kindern so geht, sondern dass dies ein ganz wichtiges Prinzip menschlichen Lebens ist. Im Buch von Dorothea Assig und Dorothee Echter (Freiheit für die Manager – Wie Kontrollwahn den Unternehmenserfolg verhindert) heißt es, „Wer einer Person Vertrauen entgegenbringt und sie idealisiert, ihre Stärken achtet und ihre Fehler vernachlässigt, initiiert in ihr einen Wachstums und Lernprozess“. Ich finde, da ist viel Wahres dran. In meiner Mediationsausbildung habe ich diesen Ansatz unter der Überschrift „Empowerment & Recognition“ kennengelernt. Im klassischen Qualitätsmanagement gibt es leider nichts Vergleichbares, obwohl doch gerade „Selbstbefähigung durch Anerkennung und Erkenntnis“ ein zentraler Baustein für überzeugende Qualitätsarbeit sein könnten.
Lösung Nr. 2. Fühlt man sich persönlich verletzt oder ist mit einer Leistungserbringung unzufrieden, dann raus damit – höflich und sachlich und zeitnah. Ich bin nicht gegen Kritik. Ich selbst möchte auch Kritik hören, wenn ich z.B. jemanden versehentlich gekränkt habe oder in meinen Seminaren oder in der Beratungsarbeit nicht gut auf die Bedürfnisse von Kund*innen eingegangen bin. Ich finde diese Kritik ist für ein gutes Zusammenleben und Arbeiten unerlässlich. Hierbei geht es vor allem um direkte Rückmeldung zur wahrgenommenen Wirkung eines Verhaltens auf die eigene Person oder z.B. auf Kund*innen/Kolleg*innen/Mitarbeiter*innen. Entscheidend ist hier, dass es eben nicht um einen abstrakten manchmal willkürlich gewählten Maßstab geht, sondern um konkrete personenbezogene Auswirkungen.
Möchte man aber tatsächlich jemanden in seiner Entwicklung unterstützen, dann gibt es bessere Wege als Kritik.
Mein Fazit: „Bevor man seine Bedenken äußert, sollte man die mögliche Wirkung seiner Äußerungen bedenken“ (angelehnt an ein Zitat von Gerhard Uhlenbrock).

4 Kommentare
  • Pasqual Jahns
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    Hallo Frau Trubel,

    ich bin recherchiere gerade das Thema „QM erleben“ um den Durchdringungsgrad im Unternehmen zu erhöhen. Beim googlen kam ich dann auf Ihre Seite.

    Vielleicht wäre die Xing Gruppe „Qualitätsmanagement“ etwas wo Sie ein weiteres Publikum ansprechen können?

    Zur eigenen Weiterentwicklung / Austausch könnte ich noch die DGQ Arbeitsgruppe „Organisationsentwicklung“ empfehlen, die einen sehr ähnlichen Ansatz anstrebt und entsprechende Konzepte / Paper entwickelt.

    Viele Grüße
    Pasqual Jahns

    24. Januar 2020 at 18:40
  • Pasqual Jahns
    Antworten

    Hallo Frau Trubel,

    Danke für die Anregungen!

    Ich bin per Zufall auf diesen Blog gestoßen und erstmal großes Kompliment, sie und natürlich auch alle anderen Beteiligten haben einen sehr nachahmenswerten Ansatz entwickelt!

    Bei Lösungswege sind aus meiner Sicht sehr valide und führen sicherlich zu Verbesserungen und einer posítiven Weiterentwicklung. Mir fiel beim Lesen noch eine dritte Lösungsmöglichkeit ein. Man könnte ja vielleicht auch noch das System untersuchen und schauen warum dieses das Verhalten des Kollegen begünstigt. Wenn man z.B. vorher die Erwatungen, Prozesse, Ziele und Werte abstimmt, kommt es hinterher vielleicht auch nicht mehr/weniger zu unerwünschtem Verhalten?

    Danke und viele Grüße
    Pasqual Jahns

    24. Januar 2020 at 10:45

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