Qualitätsentwicklung durch Kulturentwicklung

Qualitätsentwicklung durch Kulturentwicklung

Meine Eltern hatten einen sehr großen Gemüsegarten. Das war irgendwie auch ein Hobby, vor allem aber war es wirtschaftlich motiviert. Meine Mutter hat durch das selbstgezogene Gemüse und eingeweckte Obst so manche Mark gespart. In den Sommerferien sind wir nicht in den Urlaub gefahren, sondern haben mit hinzugezogenen Tanten Waschwannen voll mit Bohnen „geschnibbelt“, Erbsen „gedöppt“ oder Kirschen entsteint. Der Erntezeit vorausgegangen waren monatelange Vorarbeiten: Eine wechselnde Fruchtfolge auf den Ackerflächen, um den Boden nicht zu sehr auszulaugen, körperlich harte Arbeit beim Umgraben und Einarbeiten des Kompostes in die Erde, sorgfältiges Einsetzen der Setzlinge in die aufgelockerte Erde und Wässern an heißen Sonnentagen. Als Kind haben mir die gemeinschaftlichen Ernteaktionen durchaus Spaß gemacht, aber erst viele Jahre später konnte ich den mit der Ernte verbundenen Stolz meiner Eltern richtig verstehen. Wieviel Arbeit und wieviel Zeit hatten Sie doch zuvor in ihren Garten investiert!
Diese Erinnerungen kamen mir ins Gedächtnis, als ich nach einem Bild gesucht habe um folgende schematische Abbildung von Bernd Schmid (isb Wiesloch, 1996) mit meiner Art von Bildern auszudrücken:
Meine Eltern haben genau so ihren Garten gehegt und gepflegt. Sie haben viel in die Kultur, sprich den Boden, investiert und das war die Grundlage für ihren Ernteerfolg. Dass das so sein muss, war ihnen völlig klar – eine Tatsache, die nie in Frage gestellt wurde. Für mich ist die obenstehende Abbildung ein weiterer Schlüsselaspekt auf der Suche nach Gründen, warum das klassische Qualitätsmanagement häufig nicht wirklich funktioniert. Die Konzentration auf die Ergebnisorientierung ist immens hoch. Und das nicht nur in Bezug auf Leistungsangebote und Prozesse, sondern auch in der Besprechungsführung und dem ganz alltäglichen Miteinander. Das Ergebnis: Ausgelaugte Führungskräfte und Mitarbeiter*innen, Konflikte, Frust, mangelnde Verantwortungsbereitschaft, fehlende Motivation, … . Leider Gottes provozieren diese traurigen Ereignisse oder Zustände häufig noch mehr Ergebnisdruck. Überlegen Sie doch mal, wann haben Sie in Ihrer Organisation das letzte Mal etwas für die Kultur der Zusammenarbeit getan? Hoffentlich fällt Ihnen mehr ein als das letzte Betriebsfest. Wie wird die Qualität der Kommunikation reflektiert? Wie sehr fühlen sich alle Teammitglieder gesehen und wertgeschätzt? Wie viele alte Verletzungen und ungelöste Konflikte belasten direkt oder indirekt den Arbeitsalltag? Wie kollegial ist der Umgang miteinander? Wie sehr ist die Kultur geprägt von Vertrauen, Wertschätzung und Beteiligung? …
Bei Bernd Schmid heißt es: „Kultur ist kein Ding, sondern eine Art, Leben zu koordinieren und mit anderen zu teilen. Sie beeinflusst Erfahrung und Verhalten wie ein Magnetfeld, das Kraftfelder strukturiert. Kultur zeigt sich in vielen Dingen wie menschlichen Gewohnheiten, Symbolen, wiederholten Ereignissen und Reaktionsmustern. … Durch Kultur kann das Beste in allen hervorgebracht werden und miteinander verbunden werden. So arbeiten und leben wir besser und gewinnen mehr Kompetenz und Würde. … Wer positiv an einer guten Kultur beteiligt ist, bei dem aktivieren sich intuitiv positive Versionen seiner selbst, die sich dabei mit besseren Versionen der anderen verbinden. … Wer schnell zur Sache will, sollte mit der Kultur anfangen.“
In der DIN EN ISO 9001 taucht das Wörtchen Kultur nur auf, wenn es um das Verstehen des internen Kontextes geht und auch da nur unter den Anmerkungen. Wie bereits mehrfach betont, die Themen der ISO sind für Organisationen durchaus sinnvoll, aber neben den Denkfehlern, die ich der ISO-Logik unterstelle (siehe u.a. Blogbeitrag vom 13.10.19), ist die mehr oder weniger ausschließliche Ergebnisorientierung und damit die Missachtung von kulturellen Aspekten der zweite große Knackpunkt in der Norm.
An der Organisationskultur, der Teamkultur, der Kommunikationskultur, der Fehlerkultur, der Konfliktkultur, … etc. zu arbeiten darf nicht nur etwas sein, in das bei Krisen investiert wird. Wie beim Gemüse- und Obstanbau muss uns allen wieder klar werden, dass wir dauerhaft nur erfolgreich sein können, wenn wir auch an der Kultur arbeiten, d.h. den Boden pflegen, ansonsten geht ein Großteil der Pflanzungen daneben, der Boden laugt aus und es sind immer mehr Anstrengungen erforderlich, um Fehlentwicklungen auszugleichen.

https://www.isb-w.eu/campus/de/modell/Verh%C3%A4ltnis-von-Ergebnis–und-Kulturorientierung-in-Organisationen-1996MX1781D

https://bibliothek.isb-w.eu/alfresco/d/d/workspace/SpacesStore/df7a4d57-2c42-4c1e-8c33-bba5032199d3/Auszug_Kompendium_Bernd_Weihnachten%202019.pdf

 

3 Kommentare
  • Pasqual Jahns
    Antworten

    Hallo Frau Trubel,

    danke für Ihren Blog, dieser regt wie immer zum Nachdenken an.

    Ich weiß nicht ob es sich wirklich um einen Denkfehler in der ISO Norm handelt, da bei den verschiedenen QM Konzepten ja auch immer (starke) Kulturelemente dabei sind (wie z.B. Kaizen, Lean, TPM). Auch halte ich eine ergebnisorientierte Vorgehensweise für sehr wichtig (man soll das ganze ja nicht aus Spaß an der Freude betreiben; wobei man aus meiner Sicht allerdings auch gern Spaß an der Ergebniserzeugung haben darf:-)

    Wenn man die Idee hinter der ISO 9001, nämlich der Stakeholderorientierung konsequent verfolgt, kommt man denke ich automatisch zu nachhaltigen Ergebnissen. Diese Nachhaltigkeit wird man aus meiner Erfahrung allerdings nur mit einer nachhaltigen Führung und damit verbunden einer nachhaltigen Kulturbeeinflussung (das regelmäßige Bearbeiten des Ackers) hin bekommen.

    Also wäre aus meiner Sicht die bessere Frage, wie man das ISO 9001 System so ausprägen kann, dass man eine möglichst positive Organisationskultur, Teamkultur, Kommunikationskultur, Fehlerkultur, oder Konfliktkultur etc. fördert 😉

    Danke und viele Grüße
    Pasqual Jahhns

    15. Juni 2020 at 8:37
    • Elisabeth Trubel
      Antworten

      Gerne, bei der Umformulierung bin ich dabei.
      Man muss sich meines Erachtens nur immer wieder bewusstmachen, dass die Kernkompetenz der Norm in der Schaffung von passenden Strukturen und Prozessabläufen – also im „Außen“ liegt.
      Nachhaltige erfolgreiche Qualitätsentwicklung bedarf aber auch des Blicks nach innen (Kultur, Kommunikation, Werte und Einstellungen).. Ich bin ja nicht gegen die ISO, aber es braucht mehr als „nur“ aufgeräumte Prozesse.

      15. Juni 2020 at 19:12
  • Sybille Spicka
    Antworten

    Vielen lieben Dank, das war sehr inspirierend!😊👍🏻

    25. Februar 2020 at 8:51

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