Dynamik bewältigen mit statischen QM-Systemen – geht das eigentlich?

Dynamik bewältigen mit statischen QM-Systemen – geht das eigentlich?

Dynamik ist ein zentraler Bestandteil des menschlichen Lebens. Menschen lieben Dynamik und können gut mit ihr umgehen. Dynamik wird nur dann ein Problem, wenn die Dynamik der agierenden Menschen, Teams und Organisationen niedriger ist, als die des Umfeldes. Dann fühlen wir uns bedroht, dann machen uns Überraschungen Angst, dann entsteht durch Überforderung vielleicht sogar Chaos.
Unser Umgang mit und unsere Vorliebe für Dynamik ist allerdings sehr unterschiedlich: Die einen lieben das Kribbeln im Bauch beim Fahren mit der Achterbahn und genießen die Aufregung bei Börsenspekulationen, während andere beim Meditieren von der Dynamik des Atems fasziniert sind und der sonntägliche Tatort schon ausreichend Spannung mit sich bringt. Wir alle sind höchst verschieden und das ist auch gut so. Trotz aller Unterschiedlichkeit verfügen wir aber alle über eine Grundkompetenz im Umgang mit Dynamik. Das zeichnet uns als Mensch aus und wird uns gegenüber der Technologie immer ein entscheidender Vorteil sein.
Wenn auch unser Verhältnis zur Dynamik vermutlich durch unsere Gene erheblich geprägt wird, so hat unser soziales (familiäres, berufliches) Umfeld einen entscheidenden Einfluss darauf, ob wir unsere Kernkompetenz im Umgang mit Dynamik zu einer gewissen Robustheit ausbauen oder eher verkümmern lassen, so dass uns jegliche Veränderung bereits ängstigt. Frederick Winslow Taylor (1856 – 1915) gilt als Begründer der modernen Arbeitswissenschaft, auf der auch die Grundgedanken des Qualitätsmanagements basieren. Seine Idee war, die Kompetenz einzelner Arbeiter*innen durch die Wissenschaft der Ingenieure zu ersetzen und so „Best-Practice“ Verfahren zu entwickeln und immer weiter zu verfeinern. Seine Prinzipien waren jahrzehntelang erfolgreich und bestimmen noch heute die Art und Weise, wie wir glauben, Qualität managen zu können, auch wenn sich die Rahmenbedingungen der Arbeit radikal verändert haben. Dies gilt für produzierende Wirtschaftsunternehmen und kommerzielle Dienstleister sicherlich weit aus mehr als für das Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen. Während die Produktion von Gütern in Zeiten großer Nachfrage und bescheidenem Angebot erfolgreich im Sinne des Taylorismus gemanagt werden konnte, war soziale und pädagogische Arbeit eigentlich immer von hoher Dynamik geprägt.
Die Dynamik unseres Umfeldes können wir häufig nicht direkt beeinflussen. Immer wieder passieren Veränderungen oder tauchen neue unerwartete Einflussfaktoren auf. Marcus Bierei, mein Mit-Blogger, der zurzeit leider ein paar andere Herausforderungen bewältigen muss, wies mich erst letzte Woche darauf hin, dass das QM-System seiner Organisation in Sachen Corona versagt habe. Trotz aller Risikobetrachtungen, hat man diese Krise nicht mal erahnt.
Qualitätsmanagement versucht, Veränderungen mit Wissen zu begegnen, das z.B. in ausgeklügelten Prozessbeschreibungen bereitgehalten wird. Wissen reicht aber bei neuartigen Problemen häufig nicht aus. Es braucht die Kompetenz und das Können des Einzelnen, Probleme zu verstehen und innovative Lösungsstrategien zu entwickeln. Insbesondere das Lösen neuartiger Probleme ist eine Grundeigenschaft aller Menschen. Das klassische Qualitätsmanagement konzentriert sich auf das Lösen bereits bekannter Probleme. Mit den Erfahrungen der Vergangenheit lassen sich neue Herausforderungen aber nur bedingt bewältigen.
Das Qualitätsmanagement muss sich wohl den Vorwurf gefallen lassen, dass es in guter Absicht und unterstützt von den jahrzehntelangen positiven Erfahrungen des Taylorismus Systeme geschaffen hat, die Mitarbeiter*innen zum Teil systematisch entmächtigt und entmündigt haben. In Zeiten hoher Dynamik bzw. in Arbeitsfeldern mit ausgeprägter Komplexität, bedarf es aber vor allem kompetenter Mitarbeiter*innen, die Wissen und Intuition zu kreativem und innovativem Können verknüpfen. Mitarbeiter*innen, die eigenständig wirken dürfen und denen dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen zur Verfügung stehen (Rückhalt der Führung, Transparenz in Bezug auf alle erforderlichen Informationen, wertschätzende Dialogräume, …).
Friedrich Kiesler, ein österreichisch-amerikanischer Architekt und bildender Künstler hat gesagt:
„Jedes Problem, groß oder klein, setzt eine ungeheure Demut voraus. Die Demut zuzulassen, dass es uns mitteilt, was es von uns erwartet.
Und nicht, dass wir dem Problem mitteilen, wie es gelöst werden soll.
Es entwickelt sich aus seinem eigenen inneren Konzept, dem wir zuhören und das wir verstehen müssen.“
Dabei helfen uns keine statischen Systeme und Instrumente. Wir brauchen eine Qualitätskultur, die geprägt ist von Zuhören und Verstehen und in der alle Beteiligten mit ihren individuellen Kompetenzen an den richtigen Stellen zum Gelingen beitragen können. Je besser wir das gemeinsam schaffen, desto weniger macht uns Dynamik Angst, weil wir uns nicht mit Regelwerken verunsichern, sondern in wertschätzenden Dialogen stärken und bereichern. Wer sich mehr mit Dynamikrobustheit beschäftigen möchte, dem empfehle ich die Veröffentlichungen von Gerhard Wohland oder z.B. dieses Video:https://www.youtube.com/watch?v=hF1hDfjffvQ

 

 

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