QM – durch Corona von der Agenda gefegt und kurz vor dem Revival durch Ordnungshüter?

QM – durch Corona von der Agenda gefegt und kurz vor dem Revival durch Ordnungshüter?

Das Thema Qualität und wie diese gelingen kann ist für mich zu einem echten Herzensthema geworden. Insofern tut es fast ein bisschen weh, dass sich aktuell kaum einer dafür interessiert. Warum ich zu dieser Einschätzung komme: Veranstaltungen und Fortbildungsmaßnahmen zum Thema fallen aus – ja, zum einen sicherlich wegen der Hygienemaßnahmen, aber auch weil Mitarbeiter*innen und Führungskräfte jetzt „Wichtigeres“ zu tun haben. Die Menschen sind mit der Aufrechterhaltung des Tagesgeschäftes beschäftigt und da Qualitätsmanagement von vielen als additiv erlebt wird, kann man darauf jetzt auch gut verzichten. Der ein oder andere wird vielleicht sagen, dass sich ja gerade jetzt auszahlt, wenn man durch oder mit QM vorgesorgt hat und auf ein stabiles Regelsystem zurückgreifen kann. Ich habe da so meine Zweifel, weil die Komplexität der Herausforderungen, die Corona mit sich bringt, so viele neue und veränderte Abläufe mit sich bringt, die wohl keine Organisation im Vorfeld erahnt hat und entsprechend geplant hat. Und im Grunde ist es ja auch meine Einschätzung, mit der ich mich in diesen Blogbeiträgen immer wieder auseinandersetze: Auf ein Verständnis von Qualitätsmanagement, so mechanistisch, defizit- und sicherheitsorientiert, wie es häufig ausgestaltet wird, können wir wirklich gut verzichten. Aber bitte nicht auf die Qualitätsdiskussion! Und auch nicht auf die Schaffung von Rahmenbedingungen, die Qualität ermöglichen! Gerade in Krisenzeiten wird das gemeinsame Qualitätsverständnis doch essenziell! Was bleibt über, wenn nur noch das Minimalprogramm absolviert werden kann? Und unter welchen Rahmenbedingungen findet es statt? Ein positiver Effekt von Corona ist auf jeden Fall das neue „Zwangs-Vertrauen“, das landauf landunter jetzt auf einmal Homeoffice auch da ermöglicht, wo es bisher undenkbar schien. Corona hat uns allen sehr deutlich gemacht, dass die Zukunft nur bedingt vorhersehbar und damit planbar ist. Es hat gezeigt, dass wir vor allem zwei Dinge brauchen:
1. kompetente Mitarbeiter*innen, die selbstverantwortlich arbeiten wollen, können und dürfen und
2. gute, wertschätzend reflektierende und inspirierende Dialoge über die Qualität unseres Tuns.
Zeit, das (QM-) System neu zu installieren. Ein Neustart eines Systems, das sich nicht nur irgendwie aufgehängt hat, sondern unter grundsätzlichen Einstellungsfehlern litt, gelingt aber nur dann, wenn in der Systemeinstellung auch grundlegende Veränderungen vorgenommen werden. Ein erfolgreicher Neustart muss überlegt und vorbereitet werden. Manchmal müssen erst eine Fülle von Programmen von der Festplatte gekratzt werden, damit neue Programme erfolgreich funktionieren können. Mit dem Ansatz der Potentialorientierten Qualitätsentwicklung möchten wir Anhaltspunkte für einen Neustart und das Aufspielen neuer Software geben, aber … die Leserzahlen dieses Blogs sind rückläufig und die Anmeldungen für unseren im September geplanten Fachtag überschaubar. Meine Sorge gilt demnach nicht dem Runterfahren des Systems, ich finde es gut, in der Krise mal zu reflektieren, was wir wirklich brauchen. Meine Sorge geht in zwei Richtungen. Zum einen befürchte ich, dass die Qualitätsdiskussion (weil zwar wichtig, aber nicht dringlich) unter den Tisch fällt, und noch viel größer ist die Sorge, dass diejenigen, die QM vor allem aus der Mentalität von Ordnungshütern heraus betreiben, sicher durch die Sicherheitsdiskussionen und die aktuell hohe Bereitschaft in der Bevölkerung zur Standardisierung bestätigt fühlen und daher nicht nur das alte System einfach wieder aufspielen, sondern es auch noch verschlimmbessern. Erst vor ein paar Tagen ist mir die Aussage eines QM-Beauftragten zu Ohren gekommen, der hofft, dass das regelorientierte Vorgehen in der Corona-Zeit den Mitarbeiter*innen zeigt, wie wichtig Standards sind und der sich dadurch einen Akzeptanzschub für die sonstigen QM-Regeln erhofft. Regeln sind aber kein Allheilmittel. Sie sind vor allem auch verführerisch. Sie suggerieren den Anschein von Sicherheit und Kontrolle, lassen Entschlossenheit vermuten und beenden unbequeme Diskussionen oder lassen neue erst gar nicht aufkommen. Regeln haben da ihren Wert, wo wir über gesichertes Wissen verfügen. Wenn es um die Navigation in neuem Terrain oder um die Orientierung in komplexen dynamischen (von Menschen geprägten) Prozessen geht, passen differenzierte Regeln häufig nicht zur aktuellen Situation. Darüber habe ich bereits mehrfach geschrieben. Qualität entsteht im Dialog. Lernprozesse benötigen Reifungs- aber auch Reibungsprozesse. Lernen entsteht durch Kommunikation. Regeln unterbinden nicht selten diese wertvollen Kommunikationsprozesse und führen bei unpassender Anwendung oder Nichtanwendung auf unterschiedlichsten Ebenen zu Frust. Nicht für andere Denken, sondern mit anderen Denken. QM darf eigenverantwortliches Denken nicht unterbinden, sondern sollte es im Gegenteil institutionalisieren. Das Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen ist ausgesprochen komplex, es braucht keine Ordnungshüter, sondern Menschen, die an Menschen glauben, die eigenverantwortlich, motiviert und engagiert gute Qualität leisten wollen und die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür schaffen.
Das Qualitätsthema ist weiterhin absolut lohnenswert, ein Neustart überfällig, gestalten Sie ihn mit vertrauensbasiert, beteiligend, wertschätzend und vor allem an den Kompetenzen der Menschen ausgerichtet.

2 Kommentare
  • Iris Hacker-Maack
    Antworten

    Guten Morgen Fr. Trubel,
    mir gefallen Ihre Asuführungen sehr gut. Ich finde mich dort wieder und angesprochen. Auch ich habe das Gefühl, dass sich alle hinter dem Corona- Wahn verstecken. Nichts ist mehr normal. Das was sie über Regeln geschrieben haben, finde ich sehr gut. Leider erfahre ich grade zu Zeiten von Corona, dass die aufgestellten Regeln (fast) niemand hinterfragt. Alle laufen mit und führen die Coronargeln aus.
    Hinterfragt man etwas, oder sagt sogar etwas Anderes, wird man sofort verurteilt! So sieht unsere Gesellschaft in Deutschland aus! Alles Schlafschafe- und es spiegelt sich in den Einrichtungen wieder- es wäre schön, wenn QM ein Dialog wäre, wenn es Kommunikation gäbe- wenn Regeln nicht einfach ausgeführt, sondern hinterfragt würden und es Vorschläge gäbe—– es tut aber niemand- oder ganz wenige—- wie zur Zeit in unserer Gesellschaft!!
    Ich wäre in jeder Hinsicht froh und dankbar über jeden Neustart!!!

    8. Juni 2020 at 8:45

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