Wertschätzung: Was wertschätzen, wenn es nichts wertzuschätzen gibt?

Wertschätzung: Was wertschätzen, wenn es nichts wertzuschätzen gibt?

Diese Frage stand indirekt im Rahmen eines QM-Workshops im Raum, nachdem sich abzeichnete, dass die Ergebnisse handelnder Personen nicht den Vorstellungen der Initiatoren
entsprechen würden. Was also um Himmels Willen wertschätzen, wenn die „krümeligen Ergebnisse“ keine Zufriedenheit auslösen?
Grund genug, noch

mal auf den manchmal sogar inflationär verwendeten Begriff der Wertschätzung zu schauen.

1. Begriff
Um mir Inspirationen für diesen Blogbeitrag zu holen, habe ich zunächst Google bemüht und „Zitate, Wertschätzung“ eingegeben. Das Erste,

was mir angezeigt wurde, war auf Pinterest von „made in heaven“ und lautete wie folgt: Der Mensch, der sich geschätzt fühlt, wird immer mehr leisten, als von ihm erwartet wird.
Was auch immer sich „der Himmel“ dabei gedacht hat, ich finde diesen Satz sehr problematisch, zum einen weil er personen- und leistungsbezogene Sichtweisen mischt und zum anderen dann noch zu einer Instrumentalisierung von Wertschätzung einlädt.
Der Begriff Wertschätzung kommt eigentlich aus der Ökonomie und bezieht sich auf die Leistung oder ein konkretes Handeln einer Person, die gewürdigt wird bzw. zu würdigen ist. Bei Reinhard K. Sprenger (Das anständige Unternehmen, S. 286) ist nachzulesen: „Wertschätzung ist ein durch Anstrengung erworbenes Gut. Kein Grundrecht“. Wertschätzung ist also nicht gleichzusetzen mit Respekt, Achtung, Würde, was jedem Menschen bedingungslos zusteht. Von daher ist es völlig legitim und nicht moralisch verwerflich Arbeitsergebnisse nicht wertzuschätzen, wenn der „Mehrwert“ nicht gesehen wird.
2. Alles eine Frage der Perspektive
Nichtsdestotrotz ist das Einschätzen von Werten immer auch eine Frage der Perspektive. Ich habe hier schon häufiger über Wertschätzung geschrieben und auch gerne mal zu einem wertschätzenden Blick eingeladen.
Der Ansatz der „Wertschätzenden Erkundung“ (Appreciative Inquiry) geht davon aus, dass es immer etwas gibt was funktioniert und dass sich dieses positive mehrt, wenn man sich verstärkt damit auseinandersetzt.
Damit will ich nicht sagen, dass dann doch jeder „vermeintliche Mist“ wertzuschätzen ist, aber ich möchte eine Einladung zur Prüfung verschiedener Perspektiven aussprechen. Könnte die Leistung aus einem anderen Blickwinkel wertgeschätzt werden und kann ich mich mit diesem Blickwinkel identifizieren, ohne mich völlig zu verbiegen?
3. Klarheit über Auftrag, Ziele und Rahmenbedingungen
Wenn es um die Würdigung einer Leistung geht, sollten wir nicht vergessen, dass dahinter häufig ein mehr oder weniger klar formulierter Auftrag steht. Wenn meine Kinder mir unaufgefordert einen Kaffee ins Büro bringen würden, würde ich das über alle Maßen wertschätzen. Wenn Sie den Auftrag erhalten am Wochenende zu kochen und es gibt Burger und Pommes, fällt meine Wertschätzung geringer aus, aber ich muss mir auch eingestehen, dass ich es entweder versäumt habe, die Aufgabe zu konkretisieren (z.B. Gemüseauflauf machen) oder mich sogar wissentlich davor gescheut habe, weil dann hätten Sie u.U. vielleicht aus Protest gar nichts gekocht. Gibt es solche Situationen im beruflichen Alltag nicht auch häufiger? Konstellationen, in denen ein vermeintlicher Auftraggeber klare Vorstellungen vom Ergebnis hat, diese aber in einem mehr oder weniger offenen Auftrag kleidet und hinterher enttäuscht ist, dass die geheimen Wünsche nicht erfüllt wurden?
Wenn meine Kinder den Auftrag hatten, ihr Zimmer aufzuräumen, sie das rumliegende Zeug aber einfach unter das Bett geschoben haben, weiß ich nicht, was ich wertschätzen soll und tue das auch nicht. Sie sind immerhin keine drei Jahre mehr alt – dann könnte ich nach einem Perspektivwechsel vielleicht noch ihre Spitzfindigkeit würdigen. Das Verständnis von einem aufgeräumten Zimmer ist in unserem Haushalt klar, eindeutig und wiederholt definiert. Wichtig ist aber, die ausbleibende Wertschätzung für das Zimmeraufräumen hat nichts mit der Achtung und dem Respekt vor ihren Persönlichkeiten zu tun. Ich finde es unglaublich wichtig, das zu trennen.
Eine pauschale Forderung nach Wertschätzung ist genauso unsinnig wie eine moralische Verpflichtung sich permanent mit Wertschätzung zu begegnen. Mit Respekt, achtsamer Aufmerksamkeit und Höflichkeit ja, unbedingt.
Aber der Wert einer Arbeitsleistung darf nicht in den gleichen Topf geworfen werden mit dem Wert eines Menschen an sich. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, auch für ein verständnisvolles Miteinander immer mal wieder die Perspektive zu wechseln und zu prüfen, ob ein anderer Blickwinkel nicht auch eine gewinnbringendere Bewertung nach sich zieht oder die Leistung in ein wichtiges Verhältnis zu Rahmenbedingungen oder Ressourcen gesetzt wird. Und eine Selbstreflektion in Bezug auf klar kommunizierte Erwartungen schadet ebenfalls nie. Wenn aber nach diesen Abwägungen nichts Wertzuschätzendes überbleibt, dann ist vor allem eines angesagt – Ehrlichkeit! Wenn das Miteinander von grundsätzlichem Respekt geprägt ist, sollte es auch möglich sein, höflich, aber dennoch klar und deutlich Kritik zu äußern, auch wenn dies manchmal eine schwierige Übung ist.

 

 

 

 

1 Kommentar
  • Andrea bastian
    Antworten

    Danke für den Denkanstoß
    Ich hatte gestern ein langes kundengespräch es ging immer wieder um „ich bekomme zu wenig Wertschätzung von meinem Chef für meine Arbeit“ … gleichzeitig wurde die Arbeit des Chefs überhaupt nicht wertgeschätzt … es braucht hier sicher mehr Klarheit über Auftrag, Ziele und Rahmenbedingungen… und es ist keine Einbahnstraße…
    lg andrea

    8. Dezember 2020 at 9:48

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