Kontrolle oder Kontrollverlust – was kann ein potentialorientiertes Auditverständnis leisten?

Kontrolle oder Kontrollverlust – was kann ein potentialorientiertes Auditverständnis leisten?

Leitgedanke 6: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser

Nein, bei diesem Leitgedanken habe ich mich nicht verschrieben. Ich möchte Ihnen diese Volksweisheit, die meines Erachtens auch ein etablierter Glaubenssatz im klassischen Qualitätsmanagement ist, ganz bewusst in der umgekehrten Reihenfolge anbieten. Dabei möchte ich im Zusammenhang mit dem Auditgeschehen auf zwei Thesen eingehen.

1. Der Glaube an die durchgängige Kontrollierbarkeit von Arbeitsprozessen führt zwangsläufig zu einem Absicherungsaktionismus
Das Bedürfnis nach Sicherheit breitet sich immer weiter aus. Die Pandemie hat diesen Prozess noch mal befeuert. Viel Bürokratie wird von außen an Organisationen herangetragen und der Unmut darüber ist groß. Gleichzeitig setzen die Organisationen, die gerade noch kritisierte Überregulierung durch Politik und Behörden im Inneren fort. Sie definieren immer mehr und weitergehende Regeln, um den „Laden im Griff zu haben“ und vergessen dabei, dass auch die interne Kontrollbürokratie ihren Preis hat: Dezidierte Regeln und ausgeklügelte Kontrollinstrumente lenken den Fokus auf Regeltreue und Fehlervermeidung, was an sich ja nicht „schlimm“ ist, aber sie

  • schränken auch Gestaltungsspielräume ein und bremsen damit die intrinsische Motivation.
  • hemmen die Übernahme von Verantwortung für bislang nicht regulierte Aufgaben.
  • setzen kreative Energien zum Umgehen von Regeln frei und fördern Rechtfertigungslogiken.
  • ziehen Aufmerksamkeit und Handlungsoptionen vom Kunden und seinen Bedürfnissen ab.

2. Fremdkontrollen, und mögen Sie noch so positiv intendiert sein, haben immer den Beigeschmack von Misstrauen und Demütigung.
Misstrauen, weil jemand anderem eine Aufsichtsfunktion über die Bewertung der eigenen Arbeit übertragen wird.
Misstrauen, weil jede Kontrolle auf der Hypothese aufbaut, dass ein vereinbartes Soll möglicherweise nicht erreicht wird, obwohl dies im Rahmen des Möglichen gewesen wäre und dem Beobachtungsobjekt damit zugleich auch die Fähigkeit abgesprochen wird, dieses selbst zu erkennen und soweit möglich korrigierend zu intervenieren.
Demütigung, weil Kontrollen immer ein ungleiches Machtverhältnis demonstrieren.
Demütigung, weil Erfolge und Stärken durch kleinkarierte Überprüfungstätigkeiten abgewertet werden.

Um all dieses zu verhindern, lädt ein potentialorientiertes Auditverständnis zu einem Dialog auf Augenhöhe ein (s. auch vorherige Blogartikel). Von der Prüfung, in der sich ein Team beweisen muss, hin zur Supervision von Arbeitsprozessen. Möglicherweise hat der ein oder andere Sorge vor einem Verlust an Kontrolle. Die Frage ist aber wohl eher, ob es nicht grundsätzlich illusorisch ist, alle „Fäden in der Hand haben zu wollen“ und ob der Preis, der diese Kultur der Absicherung einfordert, nicht schlicht zu hoch ist.

Potentialorientierte Audits finden im Kontext von Vertrauen statt. Kontrolltätigkeiten werden auf das absolut Notwendige (weil z.B. extern vorgeschrieben) begrenzt. Sie werden gemeinsam durchgeführt und Mitarbeiter werden in zunehmendem Maße zur Selbstkontrolle befähigt.

Vertrauen heißt, sich auf eine Zusicherung verlassen, deren Erfüllung auch ausbleiben kann (Gerhard Wohland: Denkwerkzeuge der Höchstleister,2012). Vertrauen ist genauso überlebenswichtig wie Misstrauen. Es wäre unklug, mit verschlossenen Augen über die Straße zu gehen, nur im Vertrauen darauf, dass die Autofahrer einen schon sehen werden. Es geht nicht um Vertrauen oder Misstrauen, um schwarz oder weiß. Vertrauen ist eine Vorschussleistung, die immer bezogen auf etwas ausgesprochen wird. Im Rahmen eines Arbeitsvertrages, z.B. für die zuverlässige Ausführung einer bestimmten Tätigkeit. Vertrauen motiviert. Vertrauen verpflichtet. Vertrauen schweißt Teams zusammen. Vertrauen macht den Verzicht auf Regeln möglich.

Vertrauen entsteht durch den Verzicht auf Kontrolle.

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