Ressourcen: Vorsicht mit linearen Denkmodellen
Ich höre immer mal wieder gerne die Radiosendung „Alles in Butter“ mit Helmut Gote auf WDR 5. Da ging es vor nicht allzu langer Zeit mal ums Brotbacken und eine ganze Sendung widmete sich allein dem Thema Mehl. Ich habe nicht nur gelernt, dass es unzählige verschiedene Mehlsorten gibt, sondern dass man als erfolgreicher Bäcker sein Mehl auch kennen muss. Wenn man dann aber die entscheidenden Komponenten gefunden hat, seinen Backofen beherrscht und mit Geduld zur Sache geht, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Diese Bilder kamen mir in den Sinn, als ich mich zu Beginn dieser kleinen Serie zum Kapitel 7 der ISO 9001 nochmal mit dem Originalnormentext beschäftigt habe. In der 9000er Norm heißt es z.B. „Verantwortungsvolle Beschaffung und Bereitstellung von Ressourcen unterstützen die Organisation beim Erreichen ihrer Ziele“. Da ist sicherlich grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden. Meine Vorbehalte beziehen sich vor allem auf das technische Gedankengut mit dem die Normenanforderungen dann häufig in die Praxis überführt werden.
Input – Action – Output – beim Brotbacken ist die Anzahl der steuerbaren Komponenten noch überschaubar und der Prozess basiert weitgehend auf klaren Ursache-Wirkungs-Beziehungen: Wenn ich dieses Mehl verwende, bekomme ich eine schönere Kruste, wenn ich die eine geschlossene Brotbackform verwende, wird mein Brot fluffiger, … .
Soziale Systeme sind aber keine simpel überschaubaren Konstrukte, die kausalen Wenn-Dann-Regeln folgen. Ich möchte dies gerne noch mal wieder ganz klar herausstellen. „Tue dieses und du bekommst jenes!“- ist kein förderlicher Leitgedanke für die Steuerung sozialer Arbeit oder komplexer Personalführungsprozesse. Oder haben Sie schon mal die gleichen Menschen, im gleichen Raum, zum gleichen Thema, mit gleicher Methodik zusammengebracht und es ist das Gleiche rausgekommen? Wohl kaum.
Obwohl uns das eigentlich allen klar ist, sind QM-Aktivitäten zu einem immens hohen Anteil durchzogen von dem Bestreben irgendwie doch Kettenreaktionen zu identifizieren und darzustellen. Hochkomplexe Themen werden dann in eindimensionale Flussdiagramme gequetscht oder von den ihnen werden die 5 % rausgefischt, die sich der linear-kausalen Logik nicht verwehren. Dies geschieht in dem Glauben, dass die Steuerung dieser eher unwesentlichen Anteile irgendwelche Folgen für den Gesamtprozess haben könnte. Bei Doppler und Lauterburg (Changemanagement, 2008) heißt es: „Eine der häufigsten Ursachen für Fehlschläge bei Veränderungsprojekten liegt daran, dass Technokraten am Werk sind, die bei ihrer Planung alle technischen, strukturellen und ökonomischen Aspekte berücksichtigen – und alle menschlichen und zwischenmenschlichen Aspekte ebenso konsequent missachten.“
Organisationen und Teams sind lebendige soziale Systeme, die sich durch eine unglaubliche Vielschichtigkeit auszeichnen. Es existieren zahlreiche Elemente mit ebenso zahlreichen Zusammenhängen, Vernetzungen und Wechselwirkungen. Auch wenn Ereignisse räumlich und zeitlich voneinander getrennt sind, so gibt es doch Zusammenhänge, auch wenn diese zunächst unsichtbar sind oder gänzlich im Verborgenen bleiben. Systemisches Denken betrachtet ein System nicht als beherrschbare Maschine, sondern wie ein Mobile. Wenn man ein Teil bewegt oder verändert, hat dies nicht nur Auswirkungen auf einzelne Elemente, sondern das gesamte System gerät in Bewegung, und zwar möglicherweise weit mehr oder anders als im Vorfeld zu erahnen war. Die Wirkungszusammenhänge sind äußerst komplex – häufig ist nicht klar, was Ursache und was Wirkung ist bzw. wie diese miteinander verflochten sind.
Insbesondere, wenn es um die Identifikation erforderlicher personeller Ressourcen geht, sollten wir lineare Denkmodelle vermeiden. Wir sollten im QM lernen besser in Wahrscheinlichkeiten denn in Sicherheiten zu denken. Anstelle der Perfektionierung von Prozessbeschreibungen sollten wir Kompetenzen für Wahrnehmung, Perspektivwechsel und Dialogfähigkeiten stärken. Komplexe Systeme kommen nicht ohne Widersprüche aus. Bei komplexen Prozessen gibt es kein „Best-Practice“, sondern unzählige verschiedene Herangehensweisen. Perfekte Lösungen gibt es nur in statischen Systemen. Hier sind alle Parameter bekannt und stabil und hier ist es lohnenswert den optimalen Weg zu erkunden. In lebendigen, menschlichen Systemen gibt es nur sehr bedingt „Schuldige“. Wenn Menschen scheitern, liegt das häufig nicht an Einzelleistungen, sondern an zwischenmenschlichen Interaktionen oder ungünstigen Mustern im System. Und häufig ist ein Problem zugleich die Lösung für ein anderes Problem. Regeln helfen Komplexität zu reduzieren. Aber in Organisationen, die nahezu nur aus Regeln bestehen, wird entweder Lebendigkeit verdrängt oder neben der formalen Darstellung eine kreative Parallelwelt geschaffen. Daher vor dem Einstieg in die einzelnen Unterkapitel „Unterstützung“ heute nochmal ein Plädoyer für die Abkehr von linearen Denkfallen.