Personal: Wichtiger als Fähigkeiten und Kompetenzen ist die Passung!
Laut ISO 9001 müssen Organisationen den Bedarf an Personal bestimmen und bereitstellen, der für die Umsetzung des Leistungsangebotes erforderlich ist. Klingt logisch und eigentlich einfach – ist es aber nicht. Und das nicht (nur), weil in vielen Arbeitsfeldern Fachkräftemangel besteht, sondern weil aus meiner Sicht dem Prozess der Personalauswahl zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Und das bezieht sich nicht nur auf die Gewinnung von neuen Kräften von außen, sondern auch auf interne Stellenverteilungen bzw. -umsetzungen. Wenn ich in Organisationen Prozessbeschreibungen zur Personalgewinnung und -auswahl lese, dann konzentrieren diese sich zumeist vollständig auf formale Aspekte: Vollständigkeit der Unterlagen, gute Zeugnisnoten oder darin enthaltene Botschaften, perfekte Referenzen, Beteiligung der MAV, Berücksichtigung von Gleichstellungsaspekten, … In Bewerbungsgesprächen, an denen das spätere Team meist nicht beteiligt ist, werden die Informationen aus den Bewerbungsunterlagen „abgeklopft“ und Sympathiepunkte vergeben. Nicht selten münden diese Gespräche aber in eine Art Schaulaufen, in denen sowohl Organisationen als auch Bewerber „krampfhaft“ bemüht sind, die beste Version ihrer selbst anzupreisen. Es wird davon ausgegangen, dass zum einen die formale Qualifikation über allem steht und zum anderen das Gegenüber durch alle (sicherlich auch irgendwie vorhandenwn) positiven Qualitäten geblendet werden muss. Oder wie hoch schätzen Sie die Ehrlichkeit in Bewerbungsgesprächen ein? Wohlgemerkt von beiden Seiten? Warum ist das eigentlich so bzw. besser: Was bringt das?
Insbesondere in Arbeitsfeldern, die sehr dynamisch und komplex sind und die zunehmend weniger durchgeplant werden können, ist für eine langfristige und nachhaltig erfolgreiche Zusammenarbeit die Beziehungsgestaltung in der Organisation und im Team von entscheidender Bedeutung. Effektive Zusammenarbeit innerhalb einer Organisation ist nur möglich, wenn sich die handelnden Personen aufeinander verlassen können. Vertrauen bedeutet, gegenüber anderen Personen ein Risiko einzugehen. Vertrauen ist eine emotionale Kraft, diese entsteht nur bedingt durch Fakten, sondern vornehmlich im Rahmen einer Beziehungsgestaltung, die so vielschichtig ist, dass sie sich einer ausschließlich bewussten Steuerung entzieht. Vertrauen entsteht durch Ehrlichkeit und dadurch, dass es Raum und Zeit dafür gibt, sich persönlich zu begegnen. Und das ist keine Frage der Zeit! Ich kann eine Stunde mit Belanglosigkeiten und Selbstbeweihräucherung füllen oder schon in einer Stunde die Basis für eine tiefere Verständigung anlegen oder eben feststellen, dass es diese nicht geben wird.
Interessant finde ich in dem Zusammenhang der Personalauswahl auch die Kompetenzformel vom isb (Institut für systemische Beratung, Dr. Bernd Schmid s. u.a. in B. Schmid Systemische Organisationsentwicklung, 2014).
Die Gesamtkompetenz des Einzelnen ergibt sich aus dem Produkt dieser drei Dimensionen:
Rollenkompetenz: Wir alle haben ganz bestimmte Rollenpräferenzen z.B. Macher, Ideengeber, Beobachter, Kümmerer, … Mit Rollenkompetenz ist in dem Modell die Fähigkeit gemeint, verschiedene Rollen einzunehmen und kompetent auszugestalten.
Kontextkompetenz: Unsere Fähigkeiten bilden sich nicht überall gleich aus, z.B. entfaltet sich der eine in einem sehr offenen beziehungsorientierten Umfeld am besten, während der andere Struktur, Klarheit und Vorgaben bevorzugt.
Kontextkompetenz bezeichnet die Fähigkeit, die Umgebung zu begreifen und darin förderlich „mitzuspielen“.
Passung: Mit Passung wird beschrieben, wie die eigene Art, der eigene Stil zu den Ausprägungen und Anforderungen der Umgebung passt und wie sinnhaft die Aufgabenbewältigung für den Einzelnen empfunden wird.
Die Kompetenzformel ist keine mathematische Formel, aber sie verdeutlicht durch die Multiplikation die Bedeutung der einzelnen Faktoren (s. auch B. Schmid, O. König: Train the Coach: Konzepte; 2017).
Ziel von Bewerbungsgesprächen sollte es somit sein, sich im Vorfeld zu überlegen, welche Kompetenzdimensionen für eine freiwerdende Stelle benötigt werden, um dann gemeinsam mit dem Bewerber zu eruieren, ob eine gute Passung denkbar und fühlbar erscheint. Dabei sollte der Mensch in und hinter seiner Profession einbezogen werden. Es geht nicht um seine Privatsphäre, sondern um die Persönlichkeit im Hinblick auf die zu erwartenden beruflichen Realitäten. Organisationsteam und Bewerber sollten wichtige Erfahrungen, Motivationen, Empfindlichkeiten und Stärken und Schwächen teilen. So entstehen viele intuitive Bilder, die beiden Seite zu einer guten Entscheidung zur Zusammenarbeit verhelfen und gleichzeitig die Ebene für eine langfristige und vertrauensvolle Zusammenarbeit legen.