Kompetenz = Talent x Üben x Wissen x Gefühl/Gespür

Kompetenz = Talent x Üben x Wissen x Gefühl/Gespür

In mechanischen Systemen tun wir uns ja mit den Gefühlen häufig schwer. Sie wirken deplatziert, verweichlicht und tendenziell unvernünftig. Die ISO stellt den Grundsatz der faktengestützten Entscheidungsfindung auf. Grundsätze wie
„Nur das, was man messen kann, zählt“ sind mir in meiner langjährigen QM-Erfahrung des Öfteren begegnet. Wenn ich etwas mit Zahlen, Daten und Fakten belegen konnte, hatte es häufig mehr Wert als wenn ich nur so ein Bauchgefühl präsentierte.
In der Vorbereitung auf den letzten Blogartikel zum Thema Wissen habe ich mal wieder im Buch von Gerhard Wohland „Denkwerkzeuge der Höchstleister“ geschmökert. Dabei sind meine Augen und mein Geist auch an folgenden zwei Sätzen hängengeblieben: „Können ist die Fähigkeit einer Person, problemlösende Gefühle zu erzeugen.“ Und etwas später kurz und knapp: „Können basiert auf Talent und Gefühlen“.
Dass Kompetenz eine Kombination aus Können und Wissen bedeutet, war mir klar und in verschiedenen Kontexten hatte ich auch schon mit unterschiedlichsten Definitionen des Kompetenzbegriffes zu tun. Meist geht es um persönliche, soziale, methodische und/oder fachliche Fertigkeiten, die es Menschen ermöglichen, auch nicht routinemäßige Probleme zielorientiert und erfolgreich zu bewerkstelligen.
So weit, so klar. Keine der mir bis dahin bekannten Definitionen hatte aber bisher so klar auf die Bedeutung der Gefühle abgezielt. „Können basiert auf Talent und Gefühlen.“ Mir sind gleich unzählige Beispiele in den Sinn gekommen, die diese Aussage für mich bestätigen. Ich werde oft „bewundert“, weil ich so viele Bildideen habe. Mich überrascht das eher, denn die Bildideen kommen einfach, ich muss nichts dafür tun. In Bildern zu denken, scheint tatsächlich ein Talent zu sein, das mir geschenkt wurde. Gleichzeitig habe ich ein ausgeprägtes visuelles „Gespür“ und in Verbindung mit intensivem Üben sowie dem Wissen zu Zeichentechniken und digitalen Bildbearbeitungsprogrammen ist daraus Kompetenz entstanden.
Mir fallen unzählige weitere Beispiele dazu ein. Und immer wieder passt die Kombination: Talent + Gespür (mir gefällt das Wort hier besser als Gefühl) + Üben + Wissen = Kompetenz. Vielleicht ist es aber auch eher eine Multiplikation.
Geringes Talent kann ich ggf. noch durch viel Üben ausgleichen. Fehlendes Gespür dagegen lässt sich nicht antrainieren.
Lediglich das Wissen kann in dieser Gleichung übertragen werden. Talent ist vorhanden, oder eben nicht. Wobei jeder Mensch über unzählige Talente verfügt, viele womöglich aber nicht ausspielt oder sich in Kontexten bewegt, in denen seine Talente nicht gefragt sind. Üben: Dieser Teil der „Kompetenzformel“ ist ebenfalls nicht übertragbar. Diese Lernerfahrungen, die auch bei den Begabtesten immer wieder mit Scheitern verbunden sind, muss jeder selbst machen.
All das war mir irgendwie auch klar, bevor ich es bei G. Wohland so schön klar und prägnant gelesen habe. Trotzdem beschäftigt mich die starke Bedeutung des Gefühls in dieser Definition. Ich sehe mich erneut darin bestätigt, dass wir vernunftgläubigen Menschen unsere Intuition mal wieder gnadenlos unterbewerten. Dass es immer noch (QM-)Systeme gibt, in denen Emotionen als Störfaktoren für vernünftiges Denken betrachtet werden, obwohl sie uns letztendlich nicht nur kompetentes Handeln ermöglichen, sondern auf Grund ihrer unglaublichen Schnelligkeit, unser Überleben sichern (s. auch Daniel Kahnemann: Schnelles Denken, Langsames Denken). Verstandesanalysen dauern häufig lange, sind aufwändig und anstrengend. Signale unseres emotionalen Erfahrungsgedächtnisses kommen blitzschnell bzw. sind einfach da. Deswegen sind Sie nicht grundsätzlich besser. Wer ist nicht schon mal durch die eigenen Gefühle in die Irre geleitet worden? Aber nur weil wir Emotionen mit unserem Verstand nur bedingt erfassen können, weil unser Verstand sich von der Wucht, mit der Gefühle ihn verwirren können, bedroht fühlt, nur deshalb sollten wir unser emotionales System nicht permanent abwerten oder belächeln. Ohne ein ausgeprägtes Gespür werden sich keine herausragenden Kompetenzen ausbilden können. Sie alle kennen vermutlich Menschen, die fachlich brillant sind, denen aber das Gespür fehlt, um ihre Brillanz im „richtigen“ Moment „richtig“ auszuspielen und die dann scheitern.
Auch „Fühlen“ kann man übrigens lernen. Dafür sollte einem aber die immense Bedeutung unseres emotionalen Systems bekannt sein und ich denke, da kann das ein oder andere QM-System und der ein oder andere Zahlenmensch durchaus noch etwas lernen. Neben der Aufwertung von Gefühlen im QM brauchen wir Räume, in denen sich Gefühle entfalten können, Gehör finden und ausgetauscht werden. Wir sollten nicht nur (QM-)Wissen vermitteln und darauf hoffen, dass daraus Kompetenz entsteht, sondern emotionale Erfahrungsräume zur Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand schaffen. Auch in der Personalauswahl sollten emotionale Kompetenzen eine viel größere Bedeutung bekommen. Sowohl beim Kennenlernen des Bewerbers als auch bei den Auswahlkriterien der Entscheider. Bei Maja Storch (Das Geheimnis kluger Entscheidungen) heißt es: „Die Kunst der klugen Entscheidung beherrscht, wer seine beiden Entscheidungssysteme – den Verstand und das emotionale Erfahrungsgedächtnis – souverän handhaben kann, wer ihre Stärken und Schwächen kennt und sie darum situationsgerecht einzusetzen versteht.“

7 Kommentare
  • Pasqual Jahns
    Antworten

    Hallo Elisabeth,
    Ja das ist auch meine Erfahrung, dass aTalent ohne üben verkümmert , was dann natürlich oft auch an mangelnder Motivation liegt.
    Aber ich kenne auch neugierige Personen, die nicht unbedingt motiviert sind. Es gibt aber auch Motivierte, die aber wenig neugierig sind und dementsprechend zwar das Bestehende immer weiter perfektionieren aber halt nicht die Komfortzone zu verlassen.
    Erst die Kombination führt oft zur Weiterentwicklung;-)
    Viele Grüße
    Pasqual

    13. Oktober 2021 at 21:52
      • Pasqual Jahns
        Antworten

        Ich bin schon mal gespannt:-)

        14. Oktober 2021 at 20:34
  • Pasqual Jahns
    Antworten

    Ich gehe voll mit, das man ohne Gespür trotz vielleicht ausgeprägter technischer Fähigkeiten oft nicht sein volles Potential entfaltet.
    Meine Erfahrung ist aber auch, dass es sich oft um eine Wechselwirkung handelt. Wenn ich ein Talent für etwas habe, darf ich Projekte umsetzen, dabei sammele ich Erfahrungen und auch Wissen, übe also und um so mehr Projekte ich mache um so ein besseres Gespür bekomme ich dafür was funktioniert und was nicht.
    Auf der anderen Seite eigne ich mir vielleicht Wissen an, suche mir dann vielleicht Aufgaben oder Themen wo ich dies anwenden kann und übe so auch wieder und baue mir auch ein Gespür auf.
    Und als dritte Idee, gibt es ja auch noch die wahrgenommene Kompetenz, bei der man jemanden der vielleicht wenig Kompetenz dazu hat und vielleicht auch kein besonderes Talent besitzt, ein Projekt/Aufgabe (z.B. bei der Beförderung zur Führungskraft) bekommt und dieser sich dann erstmal in die Thematik einliest, dann übt und dabei Gespür entwickelt.
    Lange Rede kurzer Sinn, vielleicht ist der Schlüssel zur Kompetenzbildung einfach oft auch nur die Neugier, der Wille sich Herausforderungen zu stellen und sich dabei ständig weiterzuentwickeln?

    13. Oktober 2021 at 9:18
  • Thomas Meidinger
    Antworten

    Liebe Frau Trubel, lieber Herr Bierei,

    vielen Dank für Ihre wiederum wertvolle und sehr gelungene Analyse.

    In Abwandlung Ihrer „Gleichungen“ habe ich noch folgende Überlegung anzubieten:

    Talent x Information aus Sachebene = Wissen => Wissen x Üben (Anwenden) = Kompetenz (7.2)

    Talent x Information aus Beziehungsebene = Gespür ((Bauch)Gefühl) => Gespür x Üben (Anwenden) = Bewußtsein (7.3)

    Anzustreben ist, daß beides in Einklang steht. Es wird jedoch immer eher kompetenz- und eher bewußtseinsbetonte Charaktere geben, welche sich im Idealfall gezielt ergänzen können.

    Denk- und gefühlsverwandte Grüße

    Thomas Meidinger

    12. Oktober 2021 at 17:21

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