Objektiv betrachtet gibt es keine Objektivität – auch nicht im Audit

Objektiv betrachtet gibt es keine Objektivität – auch nicht im Audit

Leitgedanke 7: Es gibt keine Objektivität. Zahlen, Daten und Fakten unterliegen immer subjektiven Interpretationen.

Die (Arbeits-)Welt ist unglaublich vielschichtig und komplex. Wir nehmen immer nur kleine Ausschnitte aus dem Gesamten wahr. Vieles gelangt gar nicht erst in unser Bewusstsein, es wird schon vorher „ausgefiltert“. Oder haben Sie heute Morgen schon die unterschiedlichen Wolkenformationen am Himmel wahrgenommen, die psychische Verfassung der Mitreisenden in der S-Bahn oder die Ameisen, die vor ihrer Haustür langliefen. Keine Sorgen, es ist völlig normal und keineswegs verwerflich, wenn ihnen diese Gedanken jetzt zum ersten Mal kommen. Aber es sollte uns bewusst sein, dass wir auf die Welt immer durch eine bestimmte Linse schauen, die zunächst einmal filtert, was wir überhaupt bewusst wahrnehmen. Diese Erkenntnis ist besonders wichtig, wenn wir anfangen, aus diesen Ausschnitten Rückschlüsse auf das große Ganze zu ziehen und diese dann als „wahr“, „richtig“ oder „objektiv“ zu präsentieren.

Im Talmud heißt es: Wir sehen die Welt nicht so, wie sie ist. Wir sehen die Welt so, wie wir sind. Auch Auditoren und mögen Sie noch so gut geschult sein, schauen auf die Arbeitswelt durch ihre persönliche Brille. Diese Brille ist geprägt durch das ureigene gedankliche Betriebssystem, das Mindset, welches wiederum durch persönliche und berufliche Sozialisationserfahrungen (tradierte Überzeugungen, erlernte Vorurteile, Stereotypen und Erfahrungen) geformt wurde. Vieles davon passiert völlig unbewusst und genau das ist der Knackpunkt.

Stellen Sie sie sich zwei Auditoren vor: Auditor A ist Betriebswirt mit Zusatzqualifikationen im Bereich Datenschutz. Auditor B ist Psychologe mit Zusatzqualifikationen im Bereich Gesundheitsmanagement. Beide ziehen mit dem gleichen Auditfragenkatalog los. Beide werden unterschiedliche Dinge wahrnehmen, sie werden unterschiedliche Fragen stellen und sie werden aus der Betrachtung der gleichen Zahlen, Daten und Fakten unterschiedliche Schlüsse ziehen.

„Eine Zahl, sechs Lesarten, hundert mögliche Standpunkte. Messwerte und Ziele führen eben keineswegs zu objektiven Urteilen. Vielmehr unterliegen Zahlen subjektiven Interpretationen – alle Zahlen.“ (Nils Pfläging, Führen mit flexiblen Zielen, 2011).

Sie kennen das berühmte Wasserglas. Fassungsvermögen und Füllstand sind eindeutig bestimmbar. Aber ist das Glas nun halbvoll oder ist es halbleer? Zwei Menschen können etwas betrachten und darüber unterschiedlicher Ansicht sein und beide haben recht. Das erscheint unlogisch und ist dennoch psychologische Realität. Die jeweiligen mentalen Modelle, unsere inneren Landkarten, korrekt oder nicht, beeinflussen Einstellungen und Handeln.

https://www.qualitaet-gestalten.de/2019/05/15/kennzahlen-sorgen-fuer-objektivitaet-und-klarheit/

Gemäß der ISO 9000:2015 ist das „Audit ein systematischer, unabhängiger und dokumentierter Prozess zum Erlangen von objektiven Nachweisen und zu deren objektiver Auswertung, um zu bestimmen, inwieweit Auditkriterien erfüllt sind“.

An diesem Auditverständnis gibt es einiges zu kritisieren. Der Begriff der objektiven Auswertung ist in jedem Fall unsinnig. Was Auditoren tun können und tun sollten, ist ihre Wahrnehmungen anbieten und zur Diskussion stellen. Auditoren sind angewiesen auf die Blickwinkel von Mitarbeitenden, Führungskräften, Kunden und Partnern. Das Audit bietet die Chance all diese Perspektiven neben oder übereinander zu legen, um so neue wichtige Erkenntnisse für die Weiterentwicklung zu gewinnen. Und genau darin liegt die große Chance von regelmäßigen Auditgesprächen. Je offener wir anderen Wahrnehmungen gegenüber sind, desto größer ist Wahrscheinlichkeit für gute Zusammenarbeit und Kooperation. Das was Auditoren dafür lernen sollten, ist, die eigenen Wahrnehmungsfilter zu erforschen und im Auditgespräch immer wieder zum Perspektivwechsel einzuladen. Unser gedanklicher Auditpilot ist ein überlebenswichtiger Komplexitätsfilter, aber je mehr er uns zu wahren, objektiven und einzig richtigen Ergebnissen verleitet, desto misstrauischer sollten wir werden. Professionell auditieren bedeutet, sich die eigenen Überzeugungen bewusst zu machen. Sie zu reflektieren und ggf. anzupassen. Und sie vor allem nur als eine von vielen möglichen Perspektiven und Wahrnehmungen zu begreifen.

https://www.qualitaet-gestalten.de/2019/11/03/glaubenssaetze-sind-wichtig-maechtig-und-veraenderbar/

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Protected with IP Blacklist CloudIP Blacklist Cloud